Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
niederkämpfen.
»Pinzette.«
»Schere.«
Die hastig gesprochenen Worte rissen ihn wieder hoch.
Die Hirnoberfläche lag frei, bräunlich verfärbt, abgeflacht.
Der Wagen Nummer 5 der Funkstreife fuhr langsam, mit abgeblendeten Scheinwerfern, durch die Montenstraße, stoppte vor dem Haus Nummer 4. Wachtmeister Wendrich stieg aus, blickte auf die Fenster im ersten Stock. »Jetzt ist endlich jemand in der Wohnung«, sagte er zu seinen Kollegen. »Es brennt Licht, und wenn mich nicht alles täuscht, hat sich der Vorhang bewegt.«
Kurz nach sieben waren sie heute schon mal da gewesen. Niemand hatte geöffnet. Von einer Nachbarin erfuhren sie, daß die Riffarts in Scheidung lebten.
»Und wo können wir Frau Riffart finden?« hatte Wachtmeister Wendrich gefragt.
»Tut mir leid. Sie ist vor Wochen ausgezogen. Wohin – ich habe keine Ahnung.«
Ein zweiter, jüngerer Polizist stieg jetzt noch aus dem Wagen. »Ich schätze, seine Frau werden wir da oben nicht finden, eher ihre Nachfolgerin – oder er hat sich eine Haushälterin genommen.«
»Warten wir's ab.«
Sie mußten ziemlich energisch klingeln, bis endlich der Türöffner summte und sie die Treppen hochsteigen konnten. Dann sahen sie sich einer hübschen, blonden jungen Frau gegenüber, die sie verstört anblickte.
»Dürfen wir einen Moment hereinkommen?« fragte der Wachtmeister.
»Bitte schön«, antwortete Laura unsicher, »aber mein Mann ist nicht zu Hause.«
Die beiden Polizisten warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Trotzdem erkundigte sich Wendrich noch: »Sind Sie Frau Riffart?«
»Ja. Was ist denn los?« Laura starrte mißtrauisch von einem zum anderen.
»Frau Riffart, wir müssen Ihnen leider die Mitteilung machen, daß Ihr Mann heute in den Abendstunden mit seinem Wagen verunglückt ist …«
»Nein«, kam es tonlos von Lauras Lippen. »Nein … Bitte, sagen Sie, daß er nicht tot ist.« Sie hielt sich an Wendrich fest. »Bitte, sagen Sie …«
»Er lebt, Frau Riffart«, unterbrach sie der Wachtmeister. »Aber er ist schwer verletzt.«
»Und«, sie brachte die Worte nur mühsam heraus, »ist es hoffnungslos?«
»Nein. So viel ich weiß, ist er sofort operiert worden.«
»In welcher Klinik?«
»In der Chirurgischen Universitätsklinik. Wenn Sie wollen, können wir Sie sofort hinfahren.«
Laura rannte den Männern voraus die Treppe hinunter, setzte sich vorn neben den Fahrer. »Fahren Sie schnell«, sagte sie.
Der Wagen 5 raste los. Mit Blaulicht und Sirene.
Jetzt weiß ich, Viktor, wie dir heute zumute war, dachte Laura. Jetzt weiß ich es. Ich hätte dich suchen müssen, nicht warten auf dich. Viel früher hätte ich dich suchen müssen.
Ein Schluchzen schüttelte sie.
Sie spürte eine Männerhand auf ihrer Schulter. »Frau Riffart, Sie dürfen jetzt nicht weinen. Sie müssen jetzt tapfer sein!«
Helga Anderssen besaß eine alte englische Standuhr. Die hatte einen Westminster -Schlag, ging sehr pünktlich und schlug im Augenblick neunmal. Zwei Kognakgläser standen auf dem Tisch, ein Aschenbecher voll mit Zigarettenkippen.
»Dein Mann ist jetzt eine volle Stunde bei diesem Mädchen oben«, sagte Helga, »und du möchtest dir am liebsten einreden, daß er ihr Briefe diktiert.«
»Nein«, antwortete Ellen Diekenhorst gequält.
»Du weißt also genau«, bohrte Helga weiter, »daß er dich betrügt, und du gehst trotzdem nicht die zwei Treppen hoch und läutest?«
Ellen sprang auf, ihre Augen flackerten, ihre Unterlippe zitterte: »Du kannst es natürlich nicht begreifen, Helga; denn du weißt nicht, was es heißt, einen Mann zu lieben.«
Helga wurde eine Spur blasser. »Nein, das weiß ich nicht, Ellen. Ich bin ein verklemmtes, nicht sehr glückliches Mädchen, da hast du ganz recht. Aber eines weiß ich: Wenn die Liebe so aussieht wie bei euch, dann kann ich auch drauf verzichten.«
Eine Weile war es still im Zimmer.
»Bitte sei mir nicht böse, Helga«, sagte Ellen Diekenhorst schließlich leise.
»Ich bin dir nicht böse, Ellen. Es tut mir leid, daß ich dir die Geschichte überhaupt erzählt habe. Was ging mich schließlich deine Ehe an! Du wärst weiterhin glücklich gewesen, so nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß.«
Fiel es ihr jetzt erst auf, wie entsetzlich elend Ellen aussah? Eine Frau mit Juwelen, mit Gold und Platin, mit Nerzen und einem Ferrari, und doch saß sie hier bei ihr in diesem Zimmer und war ärmer dran als Stephi Helmer, die wenigstens den Mut gehabt hatte, ihrem Mann mit
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