Zum Glueck ein Poerßenel-Trainer
im Altersheim am Ende der Straße verschenkt, der alte Mildtäter“, erzählte Steffi, während sie nun auch meine alte Sporttasche großzügig mit ihrer Garderobe befüllte.
„Es ist doch Wochenende, so viel Zeug hattest du doch hoffentlich sowieso nicht mehr im Laden, oder?“ fragte ich unschlüssig.
„Nee, hast ja recht und der Gustav braucht hin und wieder eine Aufgabe, damit der fit bleibt im Kopf“, sprach sie mehr zu sich selbst.
„Neulich hatte ich ihn fast so weit, dass er ins Altersheim umsiedelt. Wir sind nach der Besichtigung noch zum Essen geblieben. Da sagt doch so eine bekloppte Pflegerin zu ihm, er soll nicht vergessen, nach dem Essen seinen Löffel abzugeben. Das hat der Gustav gleich wieder wörtlich genommen und dann alle Formulare zerrissen in seiner Wut. Den Löffel sollten sie sich dahin stecken, wo keine Sonne scheint und dann hat er mächtig ausgeholt und den Löffel der Pflegerin an der ihren Kopf gefeuert. Jetzt hat er da Hausverbot, der Idiot“, erklärte Steffi weiter und schüttelte zweifelnd den Kopf.
„Na wenn er da Hausverbot hat, sind deine Blumen ja wenigstens sicher“, mutmaßte ich mal so ins Blaue. Steffi fühlte sich dem alten Gustav Hartmann schon immer irgendwie verbunden. Und Gustav hatte auch schon immer eine Schwäche für Steffi. In unserer Kindheit hat Gustav alles Mögliche mit uns angestellt. Einst hatte er mit uns eine Seifenkiste gebaut für das große Seifenkistenrennen im Grunewald. Immerhin belegten wir den zweiten Platz, knapp hinter Stulle und Zinken. Die beiden hießen eigentlich Karl und Winfried und gingen in unsere Klasse. Karl tauften wir auf „Stulle“, weil er uns und seine Mitschüler jeden Morgen, noch vor der ersten großen Hofpause fragte, ob jemand noch eine Stulle über hätte. Seine Eltern nahmen es nicht so genau mit der Ernährung ihres Sohnes. Und Winfried hatte die beeindruckendste Nase an der ganzen Schule, deshalb wurde er „Zinken“ gerufen. Jedenfalls gönnten wir Zinken und Stulle den ersten Platz, weil der Siegerpreis von der Bäckerei Schmacko & Fatz gesponsert wurde und dieser beinhaltete für ein Jahr lang jeden Tag fünf frische Brötchen für jeden von ihnen. Seitdem hieß Stulle, zumindest ein Jahr lang, „Semmel“.
Inzwischen fuhr Thea vor und hupte ein paar Mal laut. Während Susi uns aus dem Haus schmiss und versprach, das Haus zu hüten, schulterten wir unser Gepäck und luden alles in Theas Kombi.
„Tust du vorne sitzen Paula? Oder ich?“, fragte Steffi, während Thea mir wortlos durch den Rückspiegel große wissende Augen präsentierte. Aber sie tat ihr Versprechen halten und tat keinen Ton sagen.
Nun fällten wir eine folgenschwere Entscheidung. Da ich mich gedanklich schon mal auf mein Wochenende einstimmen wollte, ließ ich es zu, dass
Steffi die Karte las. Das ließ ich solange zu, bis wir nach anderthalb Stunden immer noch nicht am Ziel waren, allerdings in einen Ort einfuhren, der den herrlichen Namen Herzsprung trug. Thea trat quietschend auf die Bremse und fing hysterisch an zu schreien: „Ach du scheiße! Ich sag nur Bayern!“ Mehr musste sie nicht sagen. Ich war hellwach! Das war mein Stichwort. Während unserer jahrelangen Freundschaft war es Steffi nicht ein einziges Mal gelungen, uns erfolgreich an ein Ziel zu lotsen. Vor Jahren hatten wir uns sogar einmal mit dem Zug verfahren. So etwas geht doch gar nicht? Doch, mit Steffi schon. Wir wollten damals an die Ostsee reisen und Steffi war der felsenfesten Überzeugung, uns in den richtigen Zug manövriert zu haben. Da ich leider in letzter Minute zum Bahnhof hetzte und Steffi im Brustton tiefster Überzeugung schrie: „Los schnell! Gleis 8, Gleis 8, Zack! Zack!“ machte ich den großen Fehler und verließ mich auf ihre Aussage. Auf Gleis 8 wartete in der Tat ein Zug und dieser fuhr auch gleich los, als wir endlich in ihm saßen. Was soll ich sagen, wir hatten eine tolle Zeit in Bayern. Das Schlimmste an der Sache war, dass wir erst fünfzehn Jahre alt waren und meine Eltern damals an der Ostsee auf uns warteten. Noch Jahre später klebten auf der Halbinsel Usedom Fotos von Steffi und mir an Litfasssäulen, Telefonzellen und in Bushaltestellen und zwar mit dem Vermerk „Vermisst“. So gelangten wir an der halben Ostseeküste zu trauriger Berühmtheit.
Schuldbewusst schaute Steffi nun in die Runde und hielt die übergroße Landkarte in beiden ratlosen Händen (verkehrt herum!). Entnervt riss Thea Steffi die Karte aus den Händen und
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