Zum Glück Pauline - Roman
«Ja, ja», antwortete ich, während ich den nächsten Bissen hinunterschlang.Auch Édouard bemühte sich zu demonstrieren, wie sehr er das Essen genoss, doch seine Frau zeigte sich an seinem kulinarischen Glück weit weniger interessiert als an meinem. Dennoch: Drei Schauspieler in einem Werbespot, hätte man meinen können, wenn man uns so lächeln sah. Édouard wollte einen seiner kostbarsten Tropfen zur Verfügung stellen, um meine Rückkehr «gebührend zu feiern», doch mir war überhaupt nicht nach Alkohol zumute. Er wirkte leicht enttäuscht und bestand darauf, die Flasche zu köpfen.
«Er hat dir doch gesagt, dass er keinen Wein will», schnitt Sylvie ihm das Wort ab.
«Na gut … dann trinken wir ihn eben später», gab Édouard nach. Man hätte den Eindruck gewinnen können, auf mein Wohlbefinden wäre eine Goldmedaille ausgesetzt. So sehr ihre Aufmerksamkeit mich rührte, so sehr überraschte sie mich auch. Ich sah die beiden unter völlig neuen Gesichtspunkten. Einblick in das Leben seiner Freunde zu haben, ist das eine, mit ihnen zusammenzuwohnen das andere. Wir kannten uns zwar seit zwanzig Jahren, aber wir waren zum Beispiel nie miteinander in Urlaub gefahren. Wir trafen uns zum Essen, gingen zusammen ins Theater und zu Ausstellungen, machten Spaziergänge. Wir trafen uns bei Gelegenheiten, die aus den grundlegenden Abläufen des Alltags herausfielen. Sylvie war für mich immer eine Künstlerin gewesen, die, auch wenn sie gewaltige Subventionen einstrich, doch auch Anspruch und Geschmack besaß. Aber jetzt war sie vor allem manisch darauf bedacht, dass ein bestimmter Zeitplan eingehalten wurde,ein richtiger Hausdrachen. Und Édouard, der sonst so bestimmt auftrat und immer seine Späße trieb, verwandelte sich gerade in ein verängstigtes Wesen, das seine Worte und Gebärden vorsichtig abwog und aufpasste, nichts falsch zu machen.
Zu viel Wohlwollen kann auch belastend sein, ich spürte einen seltsamen Drang in mir: Ich hätte die zwei, obwohl sie mir doch nur Gutes taten, auf den Mond schießen können. Ich wollte allein sein und nicht mehr ständig reden und das Ausmaß meiner Schmerzen beschreiben müssen. Die allgegenwärtige Sorge in ihrem Blick machte mich vollkommen fertig. Ich schloss an diesem Abend das Zimmer ab. Ein unmissverständliches Zeichen. Ich fürchtete, sie könnten nachts kommen, um nachzusehen, ob ich auch gut schlief. Diese Freundschaft kannte keine Atempause, keine Erholung. Im Krankenhaus hatte ich zwar schlecht geschlafen, doch die verordnete Ruhe hatte meinen inneren Akku wieder aufgeladen. Von Müdigkeit also keine Spur. Ich griff zum Handy. Jahrelang war ich süchtig gewesen nach diesem Ding, hatte immer auf der Lauer gelegen nach frischen Nachrichten. In meinem Umgang mit Menschen gab das geschriebene Wort den Ton an. Und das Handy war der heiße Draht zum Büro. Man konnte mich jederzeit informieren. Und wenn ich so tat, als wäre es mir unerträglich, jederzeit erreichbar sein zu müssen, log ich natürlich. Denn in Wirklichkeit war ich wie im Rausch und fand das klasse. Das Handy lieferte zudem gute Gründe, sich aus unangenehmen gesellschaftlichenSituationen auszuklinken. Kein noch so winziges Zeitfenster durfte ungenutzt bleiben, ich checkte immer meine E-Mails und antwortete auch sonntags, in der Hoffnung, meine Einsatzbereitschaft und Professionalität würden dem Kunden nicht verborgen bleiben. Wenn meine Frau sich aufregte, weil ich andauernd auf der Tastatur herumklimperte, erklärte ich ihr,
wie wichtig
die Angelegenheit gerade war. Doch seit ein paar Tagen war alles anders. Während meines Krankenhausaufenthalts hatte ich das Handy ausgeschaltet. Was vor Kurzem noch mein Leben bestimmt hatte, verlor mit einem Mal jegliche Bedeutung. Ich verstand nicht, wie ich so hatte verkommen können. Es hatte keinen Tag gegeben, an dem die Fänge der virtuellen Welt mich losgelassen hätten. Allmählich wurde mir klar, dass auch das sowohl eine nervliche als auch eine körperliche Belastung gewesen war.
Auf meiner Mailbox befanden sich mehrere Nachrichten. Die meisten von Freunden und Kollegen, es war aber auch eine von meinen Eltern dabei. Sie ging ungefähr so: «Hoffentlich bist du wohlauf … wir haben nachgedacht über das, was du gesagt hast … es ist nicht gut, sich so aufzuregen …» Ein paar Sätze in dieser Art, zum Schluss kam eine liebevolle Grußformel. «Alles Liebe» oder so, aber ich könnte es nicht beschwören. Wie symptomatisch: Im Moment der
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