Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
nicht wahr?«
»Ja, ich bin in Missouri geboren und aufgewachsen. Mein Vater war Eisverkäufer.« An dieser Stelle
brachte er ein paar Anekdoten von seinen Eltern und seinem Bruder, der allerdings schon in den dreißiger Jahren gestorben war.
»Und wie kam es, dass Sie sich ausgerechnet für Texas entschieden haben?«
»Tja, das will ich Ihnen gern erzählen, Andy.« Die Kamera ließ ihn völlig kalt. Er plauderte mit ihr, als wären sie allein im Raum. Vermutlich, weil sie selbst die Aufnahmegeräte ebenfalls mit stoischer Gelassenheit ignorierte. Mit einem kaum merklichen Kopfnicken registrierte sie, dass Warren vielsagend auf seine Uhr tippte. Ihr Gegenüber bemerkte davon jedoch nichts.
Der General erzählte ihr die Geschichte, wie es ihn das erste Mal in diese Gegend verschlagen hatte. Er sei mit einem Freund auf Elchjagd gewesen. Und habe sich spontan in die felsgesäumten Anhöhen und die malerischen, von unterirdischen Quellen gespeisten Flüsse verliebt. Da sei in ihm der Entschluss gereift, nach seiner Pensionierung hier zu leben.
»Und, haben Sie einen Elch erlegt?«
Er lachte. »Nein, ich war immer schon ein lausiger Schütze. Fragen Sie meinen Sohn, Lyon. Beim Militär wurde ich gnadenlos damit aufgezogen. Meine Offiziere meinten, wenn die Soldaten unter meinem Kommando genauso mies geschossen hätten wie ich, hätten wir den Krieg niemals gewinnen können.«
An diesem Punkt beendete Andy die erste Interviewfolge.
»Ganz große Klasse!«, rief Jeff. Er schaltete die Kamera aus und wuchtete sie vom Stativ.
Währenddessen schob Lyon den Rollstuhl durch das Gewirr von Lampen und Kabeln zu seinem Vater. »Wir brauchen ihn noch ungefähr fünf Minuten«, meinte Andy. »Wir müssen den Fragenkatalog noch aufzeichnen.«
»Wie bitte? Wieso das?«
»Das ist obligatorisch, wenn wir nur eine Kamera im Einsatz haben.« Sie erklärte ihm, dass der Kameramann nach dem Interview seine Ausstattung hinter den Gesprächsgast fahren und sie, die Moderatorin, ins Visier nehmen würde. Dann würde sie einige der von ihr gestellten Fragen wiederholen, derweil der General schweigend daneben säße. Später müsste der Bearbeiter beim Schnitt die beiden Segmente auf einem Band zusammenmischen, also zunächst Andy zeigen, während sie die Frage stellte, und dann den General mit der Antwort, wie er sie im Interview gegeben hatte.
»Diesen Trick wenden wir an, damit es so aussieht, als wären mehrere Kameras an den Aufnahmen beteiligt gewesen. Das Ganze wird so sorgfältig zusammengeschnitten, dass die Zuschauer vor den Bildschirmen später nicht die Spur merken.«
Der General befolgte Jeffs Anweisungen, der die Kamera auf der Schulter trug und an Michael Ratliffs Kopf vorbei Andy fokussierte.
»Dad, alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, mein Junge. Mir ist es schon lange nicht mehr so gut gegangen wie heute. Das macht richtig Spaß. Bei den Interviews im Krieg war ich von Reportern umlagert, die mich mit ihren Blitzlichtern traktierten. Ich hab mehrmals Interviews im Radio gegeben, aber das hier ist was ganz anderes.«
Andy freute sich für ihn, dass er sich wohl fühlte. Gleichwohl beobachtete sie sein hochrotes Gesicht mit Sorge. Genau wie Lyon. Mit professionellem Elan brachte sie die Aufzeichnung des Fragenteils hinter sich. Es war eine Sache von Minuten. Unmittelbar danach schaltete Tony die gleißenden Scheinwerfer aus.
»Du bist ein echter Profi, Süße«, rief Jeff begeistert. Er umarmte sie stürmisch und verpasste ihr einen Riesenschmatz auf die Wange. Inzwischen hatte Gil den General von seinem Mikrofon befreit und nestelte mit Hingabe nun an ihrem Kragen herum, offenbar, um ihr Kleid nicht zu ruinieren. Lyon, der seinem Vater in den Rollstuhl half, registrierte Jeffs anmacherisches Gehabe. Seine Augen nahmen einen stählernen Glanz an und bohrten sich in ihre.
Aus Rücksicht auf die angegriffene Gesundheit des Generals hatte die Crew nicht geraucht. Jetzt schwärmten alle nach draußen, um sich endlich den verdienten Sargnagel zu gönnen.
Andy bückte sich zu General Ratliff hinunter. Heftete den Blick auf sein faltiges, altersfleckiges Gesicht. »Danke. Sie waren großartig.«
»Keine Ursache. War mir ein Vergnügen. Ich hatte wohl ein bisschen Bedenken, dass Sie sich vor laufender Kamera als eine knallharte, rücksichtslose Reporterin entpuppen könnten. Obwohl ich hätte wissen müssen, dass Sie eine echte Dame sind, die viel Verständnis für ihre Gesprächspartner aufbringt.«
Sie beugte sich
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