Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
nächsten Tag und die bereits fertig gestellten Tapes.
»Er ist besser drauf, als ich dachte«, sagte Jeff. Er spuckte einen Olivenkern aus. »Als Les mir erzählte, dass der alte Knabe an die neunzig ist, hab ich nur noch drei Kreuze gemacht. Und mir im Stillen überlegt: Herrje, was machen wir, wenn er uns bei den
Aufnahmen wegnickt oder ’ne Schnarchorgie zum Besten gibt?«
»Er ist nun wirklich nicht senil, Jeff!«, entrüstete sich Andy.
»Sei nicht gleich sauer, Andy. So war das doch nicht gemeint.«
»Er hat viel Sinn für Humor. Das hatte ich echt nicht erwartet. So wie gestern, als er einräumte, dass er ein lausiger Schütze gewesen sei«, meinte Gil diplomatisch.
»Verdammt heiß hier drinnen«, grummelte Tony. Seine Bemerkung wurde ignoriert.
»Ich wüsste ja gern, was der alte Herr uns verschweigt«, sagte Jeff völlig ohne Vorwarnung.
Das schlug bei Andy ein wie eine Bombe. Sie ging hoch. »Was meinst du damit?«, fuhr sie ihn ärgerlich an. »Wie kommst du darauf, dass er uns irgendwas verschweigt?«
Jeff zuckte wegwerfend mit den Achseln. »Les meinte, er würde ums Verrecken nicht über den Krieg reden wollen. Folglich wäre es gar nicht so abwegig, wenn er ein kleines Geheimnis hätte, das er niemandem auf die Nase binden will.«
»Les spinnt mal wieder rum. Er gibt sich nun mal für sein Leben gern irgendwelchen wilden Verschwörungsspekulationen hin.«
»Die sich für gewöhnlich bewahrheiten«, gab Jeff zu bedenken.
»Dieses Mal nicht.«
»Bist du sicher? Les meinte auch, du wolltest den Sohn anbaggern, um ein paar Infos aus ihm rauszubekommen. Wie steht’s damit? Schon was Delikates erfahren?«
Ein Geräusch hinter ihnen ließ sie herumschnellen. Lyon stand in dem Durchgang, der in die Halle führte. Seine rauchgraue Iris fast schwarz, funkelte er Andy an. Mit beiden Händen hielt er seinen Strohhut umklammert. Dabei traten seine Fingerknöchel weiß hervor.
»Ich wollte Ihnen anbieten, dass Sie den Pool heute Nachmittag benutzen können«, presste er zwischen zusammengebissenen Kiefern hervor. »Auflagen für die Liegen, Handtücher und dergleichen finden Sie im Gartenpavillon.« Er setzte den Hut auf und zog ihn tief in die Stirn. Gottlob, seufzte Andy, blieb ihr sein vorwurfsvoller Blick damit bis auf Weiteres erspart. Die Absätze seiner Stiefel knallten wie Peitschenhiebe auf den Bodenfliesen, als er sich mit energischen Schritten entfernte.
Tony pfiff leise durch die Zähne.
Gil, der unbehaglich auf dem Stuhl herumrutschte, starrte auf seinen leeren Teller.
Warren räusperte sich.
Jeff wieherte los. »Holla. Ich glaube, wir haben den Cowboy böse vergrätzt.«
»Halt die Klappe, Jeff«, zischte Andy.
»Reg dich ab, Süße. Na, na, na, was ist denn zwischen euch beiden?«
Cool bleiben, Andy, und fang jetzt bloß nicht vor versammelter Mannschaft an zu heulen. Du ignorierst jetzt ganz locker Lyons hasserfüllten Blick, okay? Und hakst seine Küsse unter der Rubrik »Verzeihliches Malheur« ab, ja? Der hat sie doch nicht mehr alle. Weg mit Schaden!
»Er tut ja ganz freundlich«, meinte Gil. Dass Andy nicht auf Jeffs Frage geantwortet hatte, schien ihm nicht weiter aufzufallen. »Trotzdem sähe er uns am liebsten von hinten.«
»Am Anfang war er total gegen diese Idee. Aber inzwischen hat er sich wohl damit abgefunden.« Betont gleichmütig nippte sie an ihrem Teeglas.
»Und? Hast du irgendwas Konstruktives aus ihm herausbekommen?«
»Nöö. Und ich hab ihn auch nicht angebaggert. Diesmal ist Les verdammt auf dem Holzweg.«
»Ach ja?«
»Ja«, brüllte sie ihren Kollegen förmlich an. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden sprang sie ärgerlich vom Esstisch auf. »Wieso geht ihr nicht ’ne Runde schwimmen? Ich komm in einer Stunde nach, sobald ich meine Notizen für morgen durchgearbeitet hab. Warren, ist der Monitor irgendwo aufgebaut? Ich würde mir die Tapes gern noch mal anschauen?«
»Ja, Andy. Er steht im Wohnraum.«
»Danke. Man sieht sich.«
Statt ihre Unterlagen durchzugehen, saß sie brütend in ihrem Zimmer. Durch das geöffnete Fenster drang das Gelächter und Geplansche ihrer Crew. Gleichwohl hatte Andy keine Lust, sich an den Pool zu legen.
Lyon hatte Jeffs Kommentar aufgeschnappt. Und wähnte sich jetzt bestimmt in seinen schlimmsten Vorurteilen bestätigt: Dass sie sich nur deshalb auf seine Zärtlichkeiten eingelassen hatte, weil sie mehr über seinen Vater hatte herausbringen wollen. Er hatte ihren Beteuerungen schließlich nie getraut. Und
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