Zum Nachtisch wilde Früchte
zog seine Schuhe aus, löste die Zwischensohle und holte aus jedem Schuh vier in Stanniol gewickelte Streifchen Löschpapier heraus. Stumm sahen ihm Dr. Lummer und Werner Ritter zu. Dann lagen die Streifchen auf dem Tisch, und Dr. Lummer hatte plötzlich eine unbekannte Scheu, sie zu berühren.
»Wie stark?« fragte Ritter.
»100 Mikrogramm.«
»Woher?«
»Aus England.« Der Gammler Haskow hatte seine Sicherheit wiedergefunden. »Was wollen Sie eigentlich von mir? LSD steht nicht unter Rauschgiftgesetz. Ich habe mich nicht strafbar gemacht! Ob ich Nüsse verkaufe oder LSD … vor dem Gesetz ist das gleich!«
Werner Ritter wandte sich ab. Das war es, die große Fessel, die er überall zu spüren bekommen hatte. Kein Gesetz verbot es, das im deutschen Strafgesetzbuch noch unbekannte LSD zu verkaufen. Nur wenn unter Einwirkung von LSD ein Verbrechen geschah, konnte man es verfolgen … ein vages Verbrechen, vor dem bis jetzt immer der Schutz des § 51, Absatz 1 – Unzurechnungsfähigkeit –, stand. Eine Ohnmacht der Justiz, die schrecklich war.
»Ich möchte einen Anwalt!« sagte der Gammler laut. »Rufen Sie unseren Hausanwalt, Dr. Lechenrat. Ich sage kein Wort mehr ohne unseren Anwalt aus!«
Dr. Lummer winkte ab, als sich Ritter zu ihm wandte. »Du kannst gehen«, sagte er fast väterlich. »Gib deine Personalien bei der Wache an, und dann hau ab zu deinen bepinkelten Hofgartenbäumen.«
Ritter stieß die Tür auf, Bernd Haskow ging hinaus und wurde von den wartenden Polizisten in Empfang genommen. Der Flur war fast leer. Nur noch siebzehn Gammler saßen auf der Erde, wie schläfrige, aus dem Sumpf geholte Affen.
»Sie freuen sich gar nicht, Ritter?« sagte Dr. Lummer, als Ritter vorsichtig eine der Stanniolhüllen entfernte und ein schmales Blatt Löschpapier freilegte. Ein rosa Papierstreifen.
Ritter sah auf das harmlose Löschpapier. Sein Herz war plötzlich schwer wie ein Mehlsack.
»Ich sollte mich freuen, ja …«, sagte er leise. »Ich habe einen Beweis bekommen …«
Er dachte an die Reste des Löschpapiers, die er aus dem Kamin Toni Huilsmanns gerettet hatte.
Die Kette schloß sich.
Eine Kette, die Alf Boltenstern einschloß.
Den Vater Juttas.
Dr. Lummer schien seine Gedanken zu erraten. Fast zärtlich legte er seinen Arm um Ritters Nacken.
»Ritter, Sie sind Beamter«, sagte er leise. »Kriminalbeamter. Sie vertreten das Gesetz und beschützen die Menschen.«
»Ich werde es nie vergessen, Herr Rat«, sagte Ritter heiser. »Ich habe mir das gleiche eben selbst vorgesagt –«
Noch nie war eine Nacht so dumpf wie diese.
12
Es war widerlich und zerriß Schreiberts Herz in kleine, blutige Fetzen, anzusehen, wie der Nordländer seinen Sieg der Häßlichkeit demonstrierte und seine Beute nicht mehr von seiner Seite ließ.
Ob Corinna Colman am Waldrand sich sonnte, ob sie im Schwimmbecken planschte, unter dem Sonnenschirm lag, mittags und abends aß … immer war der lange Nordländer an ihrer Seite, tätschelte ihre Hand, küßte ihre Halsbeuge und am Waldrand –, Schreibert konnte es ganz deutlich vom Fenster seines Zimmers aus sehen – streichelte er sogar ihre Brust.
Seit dem schrecklichen Duell sprachen sie nicht mehr miteinander. Schreibert zog sich im Speisesaal in die von Corinnas Tisch am weitesten entfernte Ecke zurück, und er tat noch etwas anderes, obgleich er dazu gar keine Lust hatte: Er begann einen Flirt mit einer Dame, die schwarze künstliche Haare hatte und deren Gummimaske ein ständiges, etwas trauriges Lächeln trug. Schreibert erfuhr, daß sie 32 Jahre alt sei, geschieden aufgrund ihrer Gesichtsverletzung – ein guter Anwalt ihres Mannes hatte es als ekelerregende Verletzung hingestellt, was eine Scheidung möglich machte –; sie hatte zwei Kinder, niemand besuchte sie, und sie war dankbar, daß Schreibert sie ansprach, denn sie kam sich so einsam vor wie Schreibert auch.
Zweimal ging er mit der Dame, die sich Doria nannte, spazieren, dann wurde ihm die Bekanntschaft zu gefährlich, denn Doria erzählte, daß sie früher sehr lebenslustig gewesen sei und daß ihr das jetzt sehr fehle.
In der Nacht darauf wachte Schreibert mit einem leisen Aufschrei auf, weil jemand in sein Bett kroch und seine kalten Füße gegen seinen Bauch stemmte. Es war eine mondlose Nacht, und in der völligen Dunkelheit tastete Schreibert schlaftrunken nach dem Druckknopf der Nachttischlampe. Eine kalte, aber starke Hand hielt ihn fest.
»Kein Licht«, flüsterte eine ihm bekannte
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