Zum Nachtisch wilde Früchte
»Sie sezieren, um eine Luftblase zu finden.«
»Ich weiß, was ich finden werde«, antwortete Muck fest.
Boltenstern hob etwas die Augenbrauen. »Sind Sie so genau informiert?« fragte er. Die Frage klang leichthin, aber sie umschloß alles, was Boltensterns stille Angst war. Muck nickte mehrmals.
»Ich habe blendende Informationen.«
»Von wem?«
»Erwarten Sie, daß ich diese Frage beantworte?«
Boltenstern sah über Mucks Kopf hinweg gegen die Wand. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß es stimmte. Die Gefährlichkeit Harry Mucks war eklatant. Noch gefährlicher aber war der Informant, der Mann im Hintergrund. War es Toni Huilsmann? War es Hermann Schreibert? Oder war es sogar der Major, aus gekränktem Vaterstolz heraus?
»Was verdienen Sie denn an diesen Artikeln?« fragte Boltenstern plötzlich.
Muck zuckte zusammen. Es kam genauso, wie es Dr. Lummer ihm vorher gesagt hatte: Er wird versuchen, Sie zu kaufen.
»Man lebt davon …«, wich Muck aus. Boltenstern nickte freundlich.
»Sie können besser leben. Ich zahle Ihnen den zehnfachen Betrag, wenn Sie Ihre Informationen, die zu widerlegen leicht wäre, in der Schublade lassen. Im Interesse meines toten Freundes und seiner Witwe will ich keinen Prozeß mit Ihnen und Ihrer Zeitung. Es ist Leid genug über die Familie Erlanger gekommen. Ihre Artikel sind eine Tagessensation … in einer Woche spricht keiner mehr darüber. Für den zehnfachen Betrag können Sie ein Jahr lang sich unabhängig von wirtschaftlichen Überlegungen um bessere Themen kümmern.«
»Was wollen Sie verschleiern?« fragte Muck geradezu. Boltensterns Lächeln erstarb nicht. Es war nicht leicht, ihn zu überrumpeln.
»Nichts!« sagte er freundlich.
»Ich weiß von einer LSD-Party …«
»Blödsinn!«
»Ich werde den Ablauf genau schildern …«
»Ich bewundere Ihre Fantasie … nur schillert sie am falschen Objekt. Warum wollen Sie einen offenen Kampf? Ich werde Sie der Lüge überführen können, Sie werden einen so dicken Verleumdungsprozeß an den Hals bekommen, daß Sie ihn nie überleben werden, Ihre Zeitung wird eine Schadenersatzklage durchstehen müssen, die ihr den Ruin einbringt … Sie glauben mir doch wohl, daß ich über die Mittel verfüge, immer das letzte Wort zu haben … vor der Öffentlichkeit und vor den Gerichten.«
»Das ist das einzige, was ich Ihnen rückhaltlos glaube«, sagte Harry Muck. Seine Stimme war jetzt heiser. Der erbarmungslose Kampf war eröffnet. O Himmel, dachte er, laß Jutta Boltenstern nicht in kindlicher Reue umfallen. Ich stehe wirklich allein und vernichtet da, wenn sie mir nicht die volle Wahrheit sagt …
»Sie überlegen sich das alles noch einmal, nicht wahr?« sagte Boltenstern mit entwaffnender Freundlichkeit. »Das Leben ist relativ kurz, und man sollte es nicht mit Prozessen verleben.«
»Der nächste Artikel ist bereits im Satz«, Harry Muck sah auf seine Armbanduhr. »Nein – er ist bereits in der Rotation.«
»Und was steht darin?« fragte Boltenstern plötzlich steif.
»Um bei dem Beispiel des Anzuges zu bleiben: Nach dem Auftrennen des Futters bin ich jetzt bei der Watteabdeckung. Linke Schulter. Die Frontkameraden von Meseritz an der Obra, die sibirische Gefangenschaft, die Rückkehr, der gesellschaftliche Aufstieg und als Höhepunkt und Abschluß des Artikels: Der stille, aber verbissene Kampf der Kameraden Erlanger und Boltenstern um die Millionärstochter Petra Wollhagen. Sieger: Richard Erlanger.«
Boltenstern erhob sich abrupt. »Das wird die größte Dummheit Ihres Lebens, Herr Muck! Lassen Sie den Artikel herausnehmen.«
»Das geht nicht. Die Morgenausgabe ist mitten im Druck.«
»Ihr Verleger wird Sie morgen mittag spätestens mit einem Tritt aus dem Gebäude der Zeitung jagen.«
»Das glaube ich nicht. Mein Verleger war noch nie so sportlich.«
»Ihr Informant ist ein Lügner!«
»Das wird sich herausstellen, wenn Sie Ihre Prozeßlawine gegen mich anrollen lassen.«
»Sie wollen es also darauf ankommen lassen?«
»Ja!« sagte Harry Muck mutig und fest.
Boltenstern hob die Schultern, legte ein Fünfmarkstück für sein Bier auf den Tisch und verließ das Restaurant des ›Malkastens‹.
Es ist Schreibert, dachte er, während er draußen zwischen den hohen Bäumen des Hofgartens stehenblieb und tief durchatmete. Verdammt, es kann nur Schreibert sein. Toni ist dauernd auf der ›Reise‹ … er lebt mit seinem LSD in anderen Welten. Der Major hat sich nie viel um unser Privatleben gekümmert
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