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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stoppelhaare gerauft hatte.
    Überschrieben war der Zeitungsaufsatz ganz harmlos:
    Anatomie eines Schleiers.
    Diese Überschrift erregte Neugier, und sie war berechtigt. Denn was der Artikelschreiber da veröffentlichte, war atemlos. Es handelte von nichts anderem als von der Anklage gegen Staatsanwaltschaft und Gesellschaft, ein Verbrechen in den eigenen Reihen zu vertuschen.
    Sogar die Namen wurden genannt.
    Ein Toter: Richard Erlanger.
    Die Zeugen: Huilsmann, Schreibert, Boltenstern.
    Die Randfiguren: Jutta und Petra Erlanger. Werner Ritter. Major a.D. Ritter. Oberstaatsanwalt Dr. Breuninghaus.
    Und am Ende die fette Frage: »Wieviel kostet es, ein Verbrechen zu verschleiern? Geld oder alte Kameradschaft?«
    Unterzeichnet war der Artikel mit Harry Muck.
    Ein Skandal zog wie eine dunkle Regenwolke über Düsseldorf, denn der Schreiber schien bestens informiert zu sein.
    »Was wollen wir unternehmen?« fragte Dr. Hollwäg am Telefon Boltenstern. »Das können wir nicht wortlos schlucken, zumal unter dem Artikel steht: Fortsetzung folgt! Ich erwäge zunächst gegen die Zeitung drakonische Maßnahmen. Stornierung aller Anzeigenaufträge! Das ist der erste Volltreffer! Da werden Verleger weich und Chefredakteure pensionsreif!«
    »Lassen Sie das bitte«, antwortete Boltenstern. Seine Stimme klang etwas müde. »Ich werde mit diesem unbekannten Harry Muck unter vier Augen reden. Jede Sache hat ihren Preis. Auch ein Mann namens Muck! Ich habe schon bei ihm angerufen … ich treffe ihn heute abend im ›Malkasten‹. Ich bin sicher, daß ›Fortsetzung folgt‹ sich als großer Druckfehler herausstellt.«
    Aber es sollte anders kommen, denn der zweite Artikel lief schon über die Rotationsmaschinen, die die neue Morgenausgabe druckten.
    Harry Muck saß bereits in dem Künstlerlokal ›Malkasten‹, trank ein Bier und rauchte eine Zigarette, als Boltenstern eintrat und sich suchend umblickte. Ein paar Tische weiter, in einer Ecke, hatte sich Dr. Lummer hinter einer Zeitschrift versteckt und las sie mit sichtlichem Unbehagen. Es war die ›Rundschau für moderne Kunst‹ – der Kellner hatte sie Dr. Lummer empfohlen –, und nun schlug sich Lummer geistig mit den Abbildungen herum, die man als Gemälde und Skulpturen bezeichnete und die in seinen Augen vollgekleckste Leinwände und verbogene Drähte waren. Für wie dumm hält man uns eigentlich, dachte er gerade mit deutlichem Grimm, daß man uns so etwas als Kunst anbietet, und wie herrlich dumm sind die, die solche Werke kaufen und stolz an die Wand hängen und behaupten, sie empfänden – wie der Künstler – die innere Spannung im Rhythmus von Farbe und Form. Kopfschüttelnd wollte er die Zeitschrift weglegen, als Boltenstern eintrat, und so mußte Dr. Lummer sich weiter mit den modernen Kunstwerken beschäftigen, um unsichtbar zu bleiben. Er seufzte, nannte innerlich den Beruf eines Kriminalbeamten wirklich aufopfernd und betrachtete eine Freilandplastik, die aus zerbeulten Teilen eines Fahrrades zu bestehen schien.
    Harry Muck erhob sich und setzte sich wieder. Boltenstern hatte es bemerkt und trat auf ihn zu. Er trat an den Tisch heran, nicht als Gegner oder mit dem Hochmut des Stärkeren, sondern freundlich, jovial, fast kameradschaftlich, und lächelte Muck mit einer erschreckenden und entwaffnenden Fröhlichkeit an.
    »Herr Muck, nicht wahr?« sagte er und setzte sich an den Zweiertisch. »Es freut mich, daß wir uns einmal sprechen. Als ich Ihren Artikel las und darunter den Autornamen Muck, da sagte ich mir: Nein, das ist nicht der kleine Muck aus dem Märchen von Hauff – das ist ein ernst zu nehmender Mensch.«
    Harry Muck schwieg. Er musterte Boltenstern. Die hingeworfene Bemerkung vom ›kleinen Muck‹ verstand er sehr wohl … es klang wie eine witzige Aphorisme und war doch eine Kampfansage. Erkenne, wie winzig du bist, sollte das heißen. Der Märchen-Muck war noch ein Riese gegen dich … hinter mir steht die Großindustrie, das Kapital von Milliarden. Von jeher wird ein Land beherrscht von der indirekten Macht der Reichen … man will es nur nicht wissen auf den Ministersesseln, und das Volk soll es schon gar nicht erfahren. Wie würde sich das Weltbild verschieben, wenn die wahren Machtverhältnisse bekannt würden!
    Harry Muck sah Boltenstern zum erstenmal. Einmal hatte er in einer Finanzzeitung ein schlechtes Bild von ihm gesehen – aber der persönliche Eindruck war ungleich stärker. Wer Alf Boltenstern so sah, wie er jetzt im ›Malkasten‹

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