Zum Nachtisch wilde Früchte
… er wurde nur immer gerufen, wenn es Falten auszubügeln galt. Nur allein Schreibert wußte und weiß genau, wie das damals zwischen Erlanger und mir war, als wir Petra Wollhagen umwarben und ich an dem alten Wollhagen scheiterte, der mir ins Gesicht sagte: »Ich werde einer Ehe meiner Tochter mit Ihnen nie zustimmen. Sie sind ein Blender, Boltenstern.« Das war eine Niederlage, die ich nie überwunden habe. Sie wurde zu einem Trauma für mich, solange Erlanger lebte …
Boltenstern ging langsam zu seinem Wagen und fuhr, sehr unsicher, da er mehr nach innen dachte, als auf den Verkehr zu achten, nach Hause. Von dort rief er Generaldirektor Dr. Hollwäg an, der schon wieder ein Gartenfest in seiner Villa hatte, diesmal mit einigen Bankdirektoren und Repräsentanten ausländischer Firmengruppen. Die Gesellschaft war wieder zusammen …
»Den neuen Artikel können wir nicht mehr verhindern«, sagte Dr. Hollwäg in richtiger Einschätzung der Lage. »Aber eine Nummer 3 wird es nicht geben. Überlassen Sie das nur mir, lieber Alf! Keine Sorgen. Wir wissen ja, wer Sie sind! Seien wir erhaben über dieses Geschwätz eines tintenpissenden Journalisten.«
Im ›Malkasten‹ konnte Kriminalrat Dr. Lummer endlich seine Zeitschrift mit den modernen Gemälden und Plastiken weglegen und sich zu Harry Muck begeben, als anzunehmen war, daß Boltenstern weggefahren war und nicht noch einmal zurückkam, um vielleicht doch noch etwas mit Verhandlungen zu erreichen.
»Er ist nervös!« sagte Dr. Lummer zufrieden. »Ich habe ihn beobachtet. Er ist sehr nervös.«
»Den Eindruck hatte ich nicht.« Muck kam sich sehr bedrückt vor. Er kannte die Macht der Großindustrie … sie war wie ein Berg, der auf eine Ameise fällt. »Er war sehr sicher!«
»Sie haben ihm nur in die Augen gesehen, Muck! Ich aber auf seine Hände. Er hat seinen Brillantring immer rund um den Finger gedreht. Er platzte vor Nervosität.« Dr. Lummer klopfte Harry Muck auf die Schulter. »Morgen wird er noch nervöser werden! Nichts ist fataler, als wenn man seinen Gegner nicht genau kennt!«
Petra Erlanger ließ Dr. Lummer fast eine Stunde warten, bis sie ihn im Blauen Salon empfing. Sie trug ein schwarzweißes Seidenkleid und verbreitete den Eindruck einer ehrlich trauernden Witwe. Schon in der Halle der schloßähnlichen Villa erinnerte eine Neuerung daran, daß man ein Trauerhaus betrat: Neben dem großen Gemälde des alten Wollhagen, einem Porträt, das ihn auf einem Renaissancesessel sitzend zeigte, hing gleich groß, in einem schweren Goldrahmen, ein Bild von Richard Erlanger, das ein bekannter Düsseldorfer Porträtist vor zwei Jahren gemalt hatte: Erlanger vor dem Hintergrund einer grünenden Hügellandschaft, in weiß-rotem Jagddreß, die Reitpeitsche quer vor den Bauch gelegt, mit einem Blick, der in die Weite geht. Ein schönes Bild geldunterstützter Herrlichkeit.
Um den dicken Goldrahmen flatterten dichte schwarze Schleier. In einer riesigen chinesischen Vase leuchteten jeden Tag frische Blumen unter diesem Bild. Und ergriffen beobachtete das Personal, daß Petra Erlanger jedesmal, wenn sie an diesem Bild vorbeischritt, den Kopf leicht senkte und wieder hob … sie grüßte ihren toten Gatten.
Auf Dr. Lummer machte dieser Totenkult keinen Eindruck. Er wußte, daß Petra Erlanger nicht wie eine griechische Witwe auf Rhodos gelebt hatte, und er war nicht gewillt, an dem Schauspiel mitzuwirken, das man der Umwelt bot und das weithin geglaubt wurde.
Petra Erlanger gab Dr. Lummer eine lange, schmale, kalte Hand und erschöpfte damit alle Höflichkeit. Einen Platz bot sie ihm nicht an, was Dr. Lummer auch nicht erwartet hatte.
»Der Besuch der Polizei ist immer unangenehm … das hat mit Ihnen persönlich nichts zu tun, lieber Doktor«, sagte Petra kühl. »Ist es wichtig?«
»Nur eine Formsache, gnädige Frau!« Dr. Lummer freute sich, in solcher Gelassenheit eine Bombe explodieren zu lassen. »Ich bitte lediglich um Ihre Erlaubnis, Ihren Gatten zwecks einer nochmaligen ärztlichen Untersuchung exhumieren zu lassen.«
Bewundernd sah Dr. Lummer, daß Petra diesen Schock mit starrer Haltung überwand. Nur ihre Wimpern zuckten, und in den Mundwinkeln entstanden kleine Falten. Was sie nicht verhindern konnte, war eine Röte, die langsam vom Hals aus in ihrem Gesicht emporkroch.
»Nein!« sagte sie mit fester Stimme. »Warum? Richard soll endlich seine Ruhe haben. Auch diese Artikel in der Presse, dieser Schmutz, der auf mich geworfen wird … hier
Weitere Kostenlose Bücher