Zum Nachtisch wilde Früchte
Monsieur«, antwortete der Portier. »Aber ich habe einen Bekannten, der kennt sich in solchen Fragen aus …«
Toni Huilsmann erhielt eine Adresse, ein Taxi fuhr vor, und zwanzig Minuten später saß er in einem Maleratelier im Quartier Latin und bewunderte ein nacktes Mädchen, das auf einem Podest Modell stand für ein Bild, das nichts von der Schönheit ihres Körpers zeigte, nur Kreise, Winkel, Kleckse und verstreut herumliegende Augen, Gliedmaßen und kreisförmige Brüste. Der Maler, ein junger Mann mit langen Haaren und einem Spitzbart, blaß und wie ausgelaugt aussehend, las den Zettel, den ihm Huilsmann überreichte.
»Haben Sie tausend Francs?« fragte der Maler. Er legte den langen Pinsel weg, ging zur Kommode im Hintergrund des kahlen Ateliers und zog eine Schublade auf.
»Natürlich!« Huilsmann sah noch einmal auf das nackte Modell. Das Mädchen hatte die erhobenen Arme heruntergenommen, drehte sich um, nahm einen Apfel vom Podestboden und begann zu essen. »Aber ist das nicht ein verdammt hoher Preis?«
»Sie können zehn Stück haben …« Der Maler schob die Schublade wieder zu. »Ich handle nicht. Ich habe meine festen Preise.«
Zehn Stück. Huilsmann fuhr sich mit beiden Händen durch die blonden Haare. Zehn Stück! Das ist eine komplette Hölle, die ich mitbringe, dachte er. Zehn Stück!
»Ich kaufe!« sagte er laut. Aber ihm war, als habe er gar keine Stimme mehr. »Ich kaufe!« wiederholte er deshalb. Er merkte gar nicht, daß er schrie.
Der Maler sah ihn stumm und doch voller Verständnis an, holte aus der Schublade zehn in Stanniol verpackte Zuckerstückchen und ließ sie in eine einfache Brottüte fallen. Mit zitternden Händen nahm Huilsmann sie entgegen, nachdem er zehn Hundertfrancscheine auf die Kommode gelegt hatte.
»Wie … stark ist die Dosis?« fragte er. Ganz oben faßte er die Tüte an, als könnten die Zuckerstückchen unter seiner Handwärme schmelzen.
»100 Mikrogramm, Monsieur.«
»Ist das nicht ein bißchen viel? Ich dachte 80 …«
»80 ist für Anfänger! Sie sind doch Fortgeschrittener … oder nicht?«
»Doch, ja ja!« Huilsmann nickte mehrmals. Sein Hals war völlig zu, er konnte nicht mehr schlucken.
»Sie können auch 80 haben! Doch mit 100 ist der Himmel noch violetter, und es hält länger an!«
»Das ist die Hauptsache, danke.«
Mit dem Mittagsflugzeug flog Huilsmann schon wieder zurück nach Düsseldorf. Niemand kontrollierte ihn. Jeder, der die Brötchentüte sah, dachte an Reiseproviant.
Nur am Zoll in Düsseldorf mußte er die Tüte öffnen. Der Zollbeamte befühlte die zehn Stückchen und wickelte ein Stanniolpapier sogar ab.
»Zucker?«
»Ja.« Huilsmann nickte. Das Herz schlug einen Wirbel. »Andenken an eine Bar auf dem Montmartre. Ich sammle Zuckerstückchen …«
Der Zollbeamte nickte und winkte. Der nächste. Es gibt im Rheinland einen Spruch, der eine tiefe Weisheit enthält: Jeder Jeck ist anders.
Warum soll einer nicht Zuckerstückchen sammeln?
So kehrte Huilsmann zurück in sein wunderbares Haus und traf Else an, wie sie die Blumen in den Glaskästen des Atriums goß.
»Da bin ich wieder!« rief Huilsmann. Er fühlte sich leicht und verjüngt. Zehn Stückchen Zucker mit LSD!
Else betrachtete ihn. Sie goß die exotischen Blumen weiter und zupfte verwelkte Blätter ab.
Bis zum Abendessen saß Huilsmann in seinem Büro, hatte sich eingeschlossen und die zehn Stückchen Zucker in dem Stanniol vor sich aufgetürmt. Hinter ihm stand der Panzerschrank offen … nichts, was bis jetzt in ihm war, hatte für Huilsmann so viel Wert wie diese zehn kleinen Würfelchen.
Aber je länger er vor den zehn silbern glitzernden Päckchen saß, um so größer wuchsen in ihm die Zweifel.
War es auch LSD?
Oder hatte er für 1 000 Franc nur einfachen Würfelzucker gekauft?
Wer garantierte ihm, daß der Zucker mit LSD getränkt war?
Er wickelte ein Stück aus und drehte es in den Fingern. Er roch daran, hielt es gegen die starke Schreibtischlampe, leckte ganz vorsichtig mit der Zungenspitze über den Zucker.
Huilsmann sprang auf und lief erregt auf und ab. Wenn es nichts ist als reiner Zucker, dachte er. Wenn man mich betrogen hat? Nur eine Probe kann beweisen, ob LSD im Zucker ist … aber wie soll man es erproben, wo und mit wem?
Einen Augenblick dachte er an die Katze, die er im Haus hielt, eine schöne, getigerte Katze, die Haus und Garten von Mäusen frei hielt. Aber dann verwarf Huilsmann den Gedanken wieder. Wußte man, wie eine Katze zu
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