Zum Nachtisch wilde Früchte
versteinert stehen. Ein Mensch ohne Gesicht. Augen auf einer rot vernarbten glatten Fläche. Ein Mund, der wie eine aufgerissene Spalte wirkte. Ein Phantom, kein Mensch mehr …
»Oh –«, röchelte Madeleine Saché. »Oh, nein!«
Dann fiel sie um, wie vom Blitz gefällt, und Schreibert fing sie nicht auf, sondern ließ sie auf den Boden rollen. Dann hob der den Apparat wieder ans Ohr und ließ sich mit dem Oberarzt verbinden.
»Holen Sie Fräulein Saché ab, Doktor«, sagte er ganz ruhig mit seinem neuen pfeifenden Ton. »Die Sache hat sich blendend, schnell und wortlos geregelt. Sie wird nicht mehr wiederkommen.«
Dann wandte er sich wieder ab, nahm ein Buch und las und blickte auch nicht auf, als zwei Krankenträger Madeleine Saché auf eine Trage legten und aus dem Zimmer schafften.
»Das ist der einzige Pluspunkt meines Gesichtes«, sagte am Abend Schreibert voll giftigem Sarkasmus zu dem Oberarzt, der ihn noch einmal besuchte, »daß ich Madeleine los bin! Ich hätte es unter normalen Umständen nur mit einer Riesenszene und einigen tausend Mark Abfindung geschafft. So ging es blitzschnell. Bum, da lag sie!« Schreibert leckte sich über die borkigen, verschrumpelten Lippen. »Was wird nun aus mir?«
»Wir haben Ihnen einen Platz in der Spezialklinik Dr. Hellerau besorgt. Dr. Hellerau gilt als der zur Zeit beste Gesichtschirurg in Deutschland.«
»Und wo ist er?«
»In Oberstdorf. Die Kosten hat Herr Boltenstern übernommen.«
Schreibert nickte. Der Name Boltenstern erzeugte in ihm Übelkeit. »Kennen Sie LSD, Doktor?« fragte er unvermittelt.
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein! Was soll das sein?«
»Ich weiß es auch nicht.« Schreibert sah an dem Oberarzt vorbei. »Ich habe es irgendwo einmal gelesen …«
An einem Donnerstag wurde Schreibert zum Flughafen gefahren. Die Maschine nach München war voll besetzt, aber niemand beachtete den Mann, der – in einem eleganten Anzug – seinen Platz einnahm. Er sah nicht mehr aus wie ein Phantom, wie ein Fleisch gewordener Alptraum … er trug eine Gummimaske und hatte dadurch ein glattes, etwas starres, aber fast schönes, ebenmäßiges Gesicht. So eng lag die Gummimaske an, daß jeder sie für eine normale Haut hielt. Nur wenn er trank, benutzte er einen langen Strohhalm, denn auch die Lippen waren aus Gummi.
So flog Hermann Schreibert nach München, wurde dort von einem Privatwagen abgeholt und nach Oberstdorf gefahren.
Schon von weitem sah er das Sanatorium, als sie durch Oberstdorf hindurchfuhren. Ein schloßähnliches Gebäude an einem Berghang, umgeben von einem Park, mit Tennisplätzen und einer Reithalle.
»Das sieht ja herrlich aus«, sagte Schreibert und beugte sich aus dem Fenster.
»Auch ein großes Schwimmbad ist im Park«, sagte der Fahrer.
»Und alles Menschen ohne Gesicht?«
»Sie haben alle ein Gesicht.« Der Fahrer schaltete in einen anderen Gang. Steil ging es einen Berg hinauf, als wolle man in den Himmel fahren. »Sie werden es sehen, mein Herr … dort werden Sie nur hübsche Menschen treffen!«
Mit dem Gefühl, in eine andere Welt zu kommen, lehnte sich Schreibert zurück, und als sie das breite Einfahrtstor passierten, bekam er Herzklopfen wie ein Kind vor der Geburtstagsbescherung.
Mit der Energie einer racheschwörenden, altrömischen Kaiserin reiste Huilsmann nach Paris. Niemandem sagte er etwas davon, weder seinen Kunden noch Else, mit der ihn seit seinem Venusrausch eine Art Haßliebe verband. Nichts war mehr zwischen ihnen vorgefallen seit jener rasenden Nacht, und Huilsmann hatte darauf gewartet, daß Else am nächsten Tag fluchtartig das Haus verließ. Aber sie blieb. Warum, das wußte sie selbst nicht zu erklären. Liebe war es nicht … dieses Gefühl war in den Stunden der Raserei Huilsmann restlos verbrannt. Wie ein Schatten glitt Else durch das riesige, gläserne Haus; sie sprach mit Huilsmann kein Wort, sie bediente ihn lautlos, sie war immer um ihn und doch nie spürbar, sie war ein Geist, den Huilsmann herbeizaubern konnte und der doch zwischen den Händen zerrann, wenn man ihn anfassen wollte.
Toni Huilsmann flog nach Paris, mit der ersten Morgenmaschine. Der Form halber mietete er sich ein Hotelzimmer, in keinem der Luxushotels, sondern in einem kleinen Haus in der Nähe der Seine und der Notre-Dame. Dort stellte er nur seinen Koffer ab, ging hinunter zum Portier, legte ihm einen Fünfzigfrancschein auf den Tisch und fragte ohne Umschweife:
»Wo bekomme ich LSD her?«
»Das kenne ich nicht,
Weitere Kostenlose Bücher