Zum Nachtisch wilde Früchte
vor dem kühlen Verstand Dr. Lummers, vor der Möglichkeit, daß irgendwie einmal ein Wort durch die Mauer des Schweigens sickerte … das Wort LSD zusammen mit Alf Boltenstern … so wie es die rote Mary getan hatte im Vertrauen, zu einer Kollegin zu sprechen.
Ich bin seine Tochter – das war ein Bollwerk, das Jutta in diesen Tagen und furchtbaren Nächten um sich und ihren Vater baute. Was er auch getan hat … ich bin seine Tochter! Die Achtung habe ich verloren, aber die kindliche Liebe ist geblieben. Er war ein guter Vater. Er war ein gütiger Vater. Er hat mich nie die Mutter vermissen lassen. Vielleicht war ich das einzige in seinem Leben, auf das er stolz war, das er wirklich liebte, für das er lebte und arbeitete.
Nur Töchter können so über ihre Väter denken.
Am dritten Tag rief Jutta bei Werner Ritter an. Ein Schwall von Fragen übergoß sie, aber sie gab keine Antworten, sondern sagte nur: »Komm zu mir, Werner. Heute abend. Nach zehn Uhr. Ich warte auf dich …«
Mit einem großen Blumenstrauß traf Werner Ritter kurz nach 22 Uhr ein. Der Tisch war gedeckt, aus der Küche zog der Geruch gebratenen Fleisches. Sekt stand in einem Eiseimer, und das Radio spielte leise verträumte Weisen.
»Jutta!« rief Werner Ritter und stürmte in die Küche. Dort stand Jutta am Herd und überwachte die brutzelnden Steaks in der Pfanne. »Wo warst du? Drei Tage lang rufe ich an, viermal war ich hier! Alles dunkel, wie verlassen … ich bin in Angst und Sorge fast ertrunken … Wo warst du denn …?«
Jutta wischte sich die Hand an der Schürze ab, nahm den Blumenstrauß aus Ritters bebenden Händen, trug ihn zu einer Vase, kam zurück zum Herd und wendete die Steaks.
»Frage mich nicht, Werner«, sagte sie mit ganz ruhiger Stimme. »Wenn es ein schöner Abend werden soll, bitte, frage nicht! Ich vergesse deine Fragen nicht … ich werde sie einmal beantworten, nur jetzt nicht, nicht heute, nicht diese Nacht …«
Dann aßen sie, tranken Sekt, tanzten eng aneinandergeschmiegt, und doch war alle Zärtlichkeit wie mit Watte umhüllt und jeder Blick machte einen Umweg, ehe er den anderen traf.
»Dein Vater ist auf Rhodos?« fragte Werner Ritter.
»Ja. Mit Petra Erlanger. Ich bin ganz allein im Haus.«
Eine klare Feststellung, und doch schwang das Geheimnis des Erlebnisses darin. Werner Ritter spürte es, und er legte den Kopf auf Juttas Schulter und küßte ihre Halsbeuge.
»Liebst du mich?« fragte sie mit ganz klarer Stimme.
»Warum fragst du das noch, Jutta?«
»Wann heiraten wir?«
»Wenn du willst … in drei Wochen. Sofort, wenn es ginge. Die drei Tage ohne dich waren höllisch. Ich hätte nicht geglaubt, daß es so etwas gibt …«
Sie standen an der Tür zur Terrasse und hatten sich umschlungen. Draußen rauschte der Regen über die Bäume und Sträucher, der Rasen wurde zu einem Sumpf.
»Wir heiraten, wenn Vater wiederkommt, nicht wahr?« sagte sie. Ihre Finger strichen über seine Augen, und er nahm ihre Hand und drückte sie gegen seine Lippen.
»Wir hatten uns geschworen, nie romantisch zu sein«, sagte er leise. »Gibt es etwas Romantischeres als uns? Mein Gott, Jutta … ich hätte nie erklären können, was Liebe ist.«
»Jetzt kannst du es?«
»Nein … jetzt kann ich es erst recht nicht. Es ist wie ein süßes Sterben –«
Um Mitternacht ging Jutta hinaus, aber sie blieb nicht lange. Als sich die Tür wieder öffnete, stand sie da wie eine Statue, und das bodenlange Hemd war wie ein durchsichtiges Gespinst.
»Jutta«, sagte Werner Ritter heiser und wischte sich über die Augen.
»Komm«, sagte sie ruhig. »Komm … und lösch das Licht.«
»Jutta …«
»Gib mir die Hand und komm!«
Und er gab ihr die Hand, und sie führte ihn durch die Dunkelheit in ihr Zimmer.
10
Der dritte Morgen in der ›Bergwald-Klinik‹ begann für Hermann Schreibert mit einer Überraschung.
Corinna Colman war nicht zum Frühstück erschienen. Das machte ihn unruhig, und er erkundigte sich vorsichtig, bei Dr. Hellerau, ob sie krank sei. Die Antwort erstaunte ihn.
»Ja«, sagte Dr. Hellerau. »Fräulein Colman liegt zu Bett. Ein tragischer Fall, es ist gut, daß Sie mich darauf ansprechen, das erleichtert mir viele Fragen.« Dr. Hellerau sah Schreibert ernst an. »Corinna hat einen Selbstmordversuch begangen …«
»O Himmel!« Schreibert fuhr von seinem Stuhl empor. »Das ist ja schrecklich! Kann ich zu ihr, Doktor?«
»Nein!« Es war eine laute, harte Absage. »Warum erregt Sie das so, Herr
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