Zum Nachtisch wilde Früchte
Hang hinauf … mit hängenden Armen ging er durch die Lücken zwischen den Stämmen, bis er Corinna und den Nordländer erreicht hatte, die schon auf ihn warteten.
»Ich finde es schön, daß ihr um mich kämpft«, sagte Corinna, bevor Schreibert ein Wort hervorbringen konnte. Keuchend stand er vor dem Nordländer, bis zu den Zehen lief sein Zittern. »Es wird ein herrliches Duell sein, denn ich kann beurteilen, was Häßlichkeit ist. Ich brauche mich nur selbst in einem Spiegel zu sehen.«
Schreibert starrte sie an. Ihre Gummimaske lächelte mild. Vollkommen war ihre Schönheit …
»Also, mein Herr!« sagte der Nordländer laut. Er faßte mit beiden Händen in den Rand seiner Gummimaske, unterhalb des Haaransatzes. Schreibert tat es ihm nach, seine grantigen Lippen und wimpernlosen Augen zuckten. »Auf los ziehen wir sie ab –«
»Auf los –«, keuchte Schreibert.
»Ich zähle, mein Herr! – Drei … zwei …«
Schreibert sah Corinna an, während der Nordländer langsam und betont zählte. Seine Finger krallten sich in den Maskenrand. Ich liebe dich, dachte er. Du hast mir neuen Mut gegeben.
»… eins …«
Stoß mich nicht zurück … schrei nicht auf, wenn du mein Gesicht siehst … wir waren so glücklich in den vergangenen Nächten –
»… null … los!«
»Los!« wiederholte Schreibert dumpf.
Er sah, wie sich Corinna Colman vorbeugte. Wie in einem Logenplatz, wie am Rande der Arena, in der der Stier unter ihr getötet wird.
Und dann sah er zur Seite auf den Kopf des Nordländers …
Schreibert stieß einen kehligen, röchelnden Schrei aus. Mit einem Ruck riß er seine Gummimaske herab, zerknüllte sie zwischen den zitternden Fingern und wandte sich Corinna Colman zu.
Das bin ich! schrie es aus seinen Augen. Das ist von mir geblieben. Ein Gesicht wie die Relieflandschaft eines Globus. Bist du nun zufrieden? Schreist du nun auf?
Aber kein Entsetzen war in ihrem Blick, kein Zurückweichen vor so viel vernarbter Zerstörung, kein abwehrendes Handheben … sie stand da, hochaufgerichtet, in unwahrscheinlicher Schönheit, klatschte in die Hände wie über die Späße eines Clowns, warf den Kopf zurück und schüttelte die langen, goldenen Haare nach hinten, einem rassigen Pferd gleich, das weiß, wie bewundert es wird.
»Wie wunderschön häßlich!« rief sie mit leiser Erregung in der Stimme, aber es war die Erregung eines seltenen, bis zum Herzen greifenden Genusses und Entzückens. »Kommt … dreht euch mehr zur Sonne … kommt … ich will euch ein gerechter Richter sein!«
Schreibert senkte den Kopf, während sich der Nordländer gehorsam umwandte und aus dem Schatten der Bäume trat.
Es war nicht nötig, daß sich Schreibert ängstigte. Er hatte verloren. Er war unterlegen wie ein Zwerg, der einen fallenden Baum aufhalten will. Schon als der Nordländer seine Maske herabzog, hatte er es gesehen, und es hatte ihm ein nie gekanntes Glücksgefühl verschafft, auch wenn er nach den Regeln des Duells hiermit Corinna verloren hatte.
Im Vergleich zu dieser unmenschlichen Fratze war Hermann Schreiberts abgeschabtes Gesicht geradezu schön. Es war von einer gleichmäßigen, man muß schon sagen ebenmäßigen Zerstörung … aber es hatte noch eine Nase, Ansätze von Augenbrauen, Lippen, wenn auch verkrustet, Wangen zernarbt, aber doch noch aus Fleisch, das über den Knochen lag.
Dieses Gesicht aber, das ihn jetzt im grellen Sonnenlicht anbleckte, war kein menschlicher Körperteil mehr. So zeichnen Fantasten die Wesen anderer Sterne, so sieht ein krankes Hirn höllische Visionen, so verzerrt sich das Bild im LSD-Rausch. Ein Alptraum war Wirklichkeit. Ein Totenschädel mit verkrüppelter Haut war es, eine riesige, verfaulte, verschrumpelte Kartoffel, in der zwei Augen ohne Brauen und Wimpern als einzig Menschliches blinken, Augen, die in dieser Mondlandschaft keinen Sinn mehr hatten. Augen, die jemand verloren hatte.
»Ist es nicht wundervoll häßlich?« wiederholte Corinna und klatschte wieder in die Hände. Tanze, lieber Clown! Drehe dich, Bajazzo! Und der Nordländer lächelte, und es war, als platze eine Wunde.
»Ja!« Schreibert nickte. Er wandte sich ab. Selbst ihm, dem Gesichtslosen, kam Ekel hoch vor diesem Kopf.
Der Nordländer richtete sich hoch auf. Triumph war in seiner Haltung. So mußte Caesar nach der Eroberung Galliens dagestanden haben. »Mein Herr«, sagte er laut, und es war ein wahres Rätsel, woher eine so klare, wohltönende Stimme aus diesem Narbengebirge kommen
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