Zum Nachtisch wilde Früchte
Schreibert?«
»Fräulein Colman und ich … wir hatten einen netten Kontakt … Wir hatten uns angefreundet, so weit dies in der Kürze der Zeit möglich ist.« Schreibert sah an Dr. Hellerau vorbei auf ein paar Bilder an der Wand. Landschaften. Wiesen, Berge, Almhütten. »Wie … wie ist es denn geschehen?«
»Sie wollte sich erhängen. Am Fenster. Es ist übrigens der zwölfte Versuch. Ein Rekord, nicht wahr.« Dr. Hellerau beugte sich zu Schreibert vor und legte ihm die Hände auf die Knie. Er zuckte zusammen wie unter einem Tatzenhieb. »Jedesmal, wenn sich Corinna verliebt, begeht sie hinterher Selbstmord. Wir kennen das schon. Seien Sie ehrlich zu mir, Herr Schreibert … hatte sich Corinna in Sie verliebt?«
Und hier wurde Schreibert ein Feigling. Er kroch in sich zusammen und war froh, eine Gummimaske zu tragen, die immer gleichblieb, die keine Reaktionen verriet, die immer schön war, mit einem inneren, eingegossenen Lächeln.
»Nein!« sagte er laut. »Ein paar galante Worte, weiter nichts! Ich habe andere Gedanken, glauben Sie mir das, Doktor. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, ein Mensch ohne Gesicht zu sein.«
Dr. Hellerau brach die Unterhaltung ab, und Hermann Schreibert ging in den Park. Er sah verwundert auf, als ihm vom Schwimmbecken ein hochgewachsener Mann entgegenkam und ihm winkte, am Waldrand stehenzubleiben. Der Mann trug die Gummimaske eines Nordländers, ein schmales, ebenmäßiges Kunstgesicht, nur die blonden, an den Schläfen angegrauten Haare waren echt. Sie waren lang und fielen über den oberen Ansatz der Maske.
»Sie wünschen?« fragte Schreibert mit seiner leicht pfeifenden Stimme. Er hatte den Herrn schon beim Essen gesehen … meist saß er am Kamin, ein paar Tische von ihm entfernt, und er hatte ihn bis auf die Vorstellung nicht mehr begrüßt.
»Wer ich bin, mein Herr«, sagte der Nordländer mit merkwürdig schnarrender Stimme, »wen kümmert es? Auch wer Sie sind, ist uninteressant. Wir haben unser Ich verloren und leben miteinander wie die namenlosen Ameisen. Das schließt aber nicht aus, daß wir einen Ehrenkodex haben. Darf ich bitten, mir zu folgen.«
Etwas verwirrt ging Schreibert dem Nordländer nach, bis sie im Wald stehenblieben und den Blicken der anderen Gäste entzogen waren.
»Sie haben ein Verhältnis mit Corinna …«, sagte der Nordländer plötzlich laut. Schreibert zog die Schultern hoch. Seine Handflächen wurden feucht.
»Wie kommen Sie auf diese …«, schrie er, aber er vollendete den Satz nicht. Der Nordländer winkte mit beiden Händen ab.
»Engagieren Sie sich nicht in billigem Abstreiten«, sagte er fast angewidert. »Sie wissen, daß Corinna mit jedem Neuankommenden ins Bett geht?«
»Mein Herr!« schrie Schreibert und ballte die Fäuste. »Soll ich Ihnen zeigen, wie man die Ehre einer Frau verteidigt?!«
»Sparen wir uns doch solch große Worte! Wozu?« Der Nordländer schüttelte den Kopf. »Ohne Gesicht sollte man ehrlich leben … nur die Lüge braucht die Mimik … und wir haben keine mehr! Erkennen wir doch klar, wie wir leben: Corinna liebt stets das Neue. Immer wieder muß sie bestätigt bekommen, daß sie schön ist. Und dann, eines Tages, früher oder später, ist sie satt, und sie versucht, sich ihr wertloses und unnützes Leben zu nehmen. Ich möchte Ihnen große Umfragen ersparen … alle Männer, die sich zur Zeit in der Klinik befinden, haben schon mit ihr geschlafen! Ich war der letzte … bis Sie eintrafen. Ich habe Corinna und Sie beobachtet, mit den Augen eines Eifersüchtigen, und sie sind scharf wie Falkenaugen! Ich habe alles gesehen. Ich habe gestern nacht sogar an der Tür gestanden und habe zugehört. Es sind dünne Türen, mein Lieber. Und es waren die gleichen Worte, die sie allen gesagt hat … auch mir. Nur gibt es hier einen Unterschied … ich liebe sie! Ich verzeihe ihr die vergangenen Männer, aber ich weigere mich, Sie als Nachfolger anzuerkennen! Verstehen Sie mich?«
Schreibert sah sich um. Sie waren allein im Wald, und plötzlich empfand er so etwas wie Mordlust, wie einen Zwang, vorzustürzen und ein Leben auszulöschen.
»Das zu beurteilen ist doch wohl allein Sache von Corinna«, sagte er mit rostiger Stimme. »Wenn sie nun mich liebt?«
»Sie tut es nicht! Hätte sie sonst versucht, sich aufzuhängen?« Der Nordländer atmete tief auf. »Nur einmal hat sie diesen Versuch nicht unternommen … bei mir! Bei mir fühlte sie sich wie ein lebensfrohes Wesen, sie begann, ruhiger zu werden, sie
Weitere Kostenlose Bücher