Zum Sterben schoen
Spielchen spielten. Weil er älter war und weil nur noch sie beide in der Familie übrig waren, versuchte Tommy, sich selbst zu viel aufzuhalsen. Zugegebenermaßen hatte sie als kleines Mädchen seine Führung gebraucht, aber sie war kein kleines Mädchen mehr, und Tommy musste aufhören, sie zu beschützen.
Zufälligerweise warf sie gerade einen Blick zum Pfarrhaus hinüber, als sich die Tür öffnete und ein Polizist mit einem ziemlich auffälligen Schmerbauch auf die Veranda heraustrat. Ihm folgte ein größerer, jüngerer Mann. Sie beobachtete, wie die beiden einander die Hände schüttelten und der Polizist auf sein Auto zuging.
Der Fremde auf der Veranda zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Sie starrte ihn unverhohlen an. Makellos gekleidet in ein gut sitzendes weißes Hemd, einen marineblauen Blazer und kakifarbene Hosen sah er aus, als sei er gerade vom Titelblatt eines Herrenmodemagazins gestiegen. Dennoch war er nicht, was sie als umwerfend oder auch nur gut aussehend bezeichnen würde, zumindest nicht im üblichen Sinn. Aber vielleicht zog sie gerade das an. Sie hatte während der Sommerferien im Internat einmal ein bisschen als Model für einen italienischen Modedesigner gearbeitet, bis Tommy es herausfand und unterband. Aber während dieser zweieinhalb Monate hatte sie mit einer beträchtlichen Anzahl attraktiver Männer gearbeitet. Den Mann auf der Veranda konnte man nicht als schön bezeichnen. Er war zu robust und derb für solch ein Etikett. Aber sehr, sehr sexy.
Ihn umgab eine Aura von Autorität, als sei er es gewohnt, seinen Willen zu bekommen. Sie starrte den scharfen Winkel seines Kiefers, die harte Linie seines Mundes an. Er konnte sehr gefährlich sein, dachte sie, dennoch konnte sie nicht definieren, was er an sich hatte, das sie so empfinden ließ.
Der Fremde hatte ein interessantes Gesicht und einen Teint, der unmodern gebräunt war. Wirklich sehr interessant.
Eine der ständigen Warnungen von Mutter Oberin klingelte ihr wie eine Alarmglocke im Kopf. Nimm dich in Acht vor Wölfen im Schafspelz. Sie stehlen dir immer deine Tugend.
Dieser Mann sah nicht aus, als müsste er jemals etwas stehlen. Sie stellte sich vor, dass Frauen in Scharen zu ihm strömten und dass er sich nur nahm, was ihm freigebig geboten wurde. Er war etwas Besonderes. Sie stieß einen kleinen Seufzer aus, weil sie sich schuldig fühlte, dass sie nur wenige Schritte von der Kirche entfernt solche Gedanken hegte. Mutter Mary Madelyne hatte vermutlich Recht in Bezug auf sie. Sie würde in die Hölle kommen, wenn sie es nicht lernte, ihre sündige Fantasie zu kontrollieren.
Der Fremde musste gespürt haben, dass sie ihn anstarrte, weil er sich plötzlich umdrehte und sie direkt anschaute. Verlegen, weil sie dabei erwischt worden war, wie sie ihn angestarrt hatte, wollte sie sich schon abwenden, als sich die Vordertür öffnete und Tommy herauskam. Laurant war überglücklich, ihn dort zu sehen und nicht in einem Krankenhausbett, wie sie befürchtet hatte.
In seiner langen, schwarzen Soutane mit dem weißen Stehkragen wirkte er blass – und besorgt. Sie begann, sich den Weg durch die Menge zu bahnen.
Tommy und der Fremde, mit dem er sich unterhielt, boten ein eindrucksvolles Bild. Beide waren hoch gewachsen und dunkelhaarig, aber Tommy hatte einen rotwangigen irischen Teint mit reichlich Sommersprossen, die quer über die Nasenwurzel verteilt waren. Anders als sie wurde er nicht braun, sondern bekam Sonnenbrand, wenn er versehentlich zu lange in der Sonne blieb. Außerdem hatte er ein hinreißendes Grübchen – zumindest fand sie es hinreißend – in der rechten Wange. Sein jungenhaft gutes Aussehen hatte ihm den amüsanten Spitznamen »Pater Was-für-eine-Verschwendung« bei den Mädchen vom College und von der High School eingetragen.
An dem Mann neben ihrem Bruder war überhaupt nichts Jungenhaftes. Während er Tommy zuhörte und gelegentlich zustimmend nickte, beobachtete er, wie sie auf das Kirchenportal zustrebte.
Schließlich unterbrach er ihren Bruder, als er den Kopf in ihre Richtung neigte. Tommy drehte sich um, erblickte sie und rief ihren Namen. Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er, zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, auf sie zustürzte dass ihm sein schwarzes Gewand um die Knöchel flatterte.
Laurant fiel auf, dass sein Freund auf der Veranda stehen blieb, aber er schenkte ihnen jetzt keinerlei Beachtung mehr, sondern war vollauf damit beschäftigt, zu beobachten, wie die
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