Zum Tee in Kaschmir
eine zurückhaltende, liebenswürdige Frau mit einem netten, freundlichen Gesicht, die ihn abgöttisch liebte. Die innige Zuneigung, die mein Onkel uns allen entgegenbrachte, nahm sie mit groÃem Wohlwollen und GroÃzügigkeit zur Kenntnis. Mit ihrem starken Charakter ertrug sie ohne Murren das bescheidene Einkommen ihres Mannes wie auch die Härten der entlegenen Dienstorte. Sie vergötterte ihren Ehemann, und ich fand stets, dass sie für ihn wie ein Fels in der Brandung war.
Amirs Frau hatte auch groÃes Talent beim Nähen und war eine gute Köchin. Wie es ihr unter den gegebenen Umständen stets gelang, ihren Haushalt zu führen, kam einem Wunder gleich. Sie zog nicht nur ihre sieben Kinder ohne Hilfe auf, sie sperrte sich auch nicht dagegen, dass ihr Ehemann, der noch besser kochte als sie, die Herrschaft in ihrer Küche übernahm. In einer Kultur, in der Männer mit seinem Hintergrund nur in den seltensten Fällen kochten, waren Amirs Kochkünste mehr als beeindruckend. Wenn es in der Familie eine Hochzeit gab und Amir zufällig zugegen war, beaufsichtigte er höchstpersönlich die Küche, wo die Küchenchefs ihre Menüs zubereiteten.
Amir liebte gemahlene Chilischoten. Sein Verbrauch an Cayennepfeffer war unübertroffen. Er war bekannt dafür, dass er bei Familientreffen irgendwann einfach vom Tisch aufstand und in die Küche ging. Dort setzte er sich dann, eine Zigarette lässig im Mundwinkel, den perfekt gepflegten Schnurrbart flott nach oben gezwirbelt und einen Paschminaschal keck um den Hals geschlungen, mitten auf den Boden und begann rote und grüne Chilischoten in einem steinernen Mörser zu zermahlen. Die gesamte Familie war fest davon überzeugt, dass er noch irgendeine andere Zutat unter die Chilis mischte, da die Paste bei ihm stets eine dickere Konsistenz hatte. Niemand fand jedoch je heraus, um was für eine Zutat es sich dabei handelte.
Meine GroÃmutter Dil-Aram vermutete, dass Amirs ausgeprägte Vorliebe für frische Chilischoten ihren Ursprung in seiner Kindheit hatte. In Kaschmir war es üblich, wardi herzustellen, das waren runde Fladen aus Gewürzen und Chilischoten, die man trocknete und dann für die langen, verschneiten Wintermonate in luftdichten GefäÃen aufbewahrte. Um ein Gericht ausreichend zu würzen, brauchte man nur ein kleines Stück davon mit in den Kochtopf zu geben. Als Amir in gemäÃigteren Zonen lebte, hatte er sich daran gewöhnt, frisch gemahlene Chilipaste zu seinen Mahlzeiten zu essen.
Es wurde in unserer Familie auch darüber spekuliert, ob nicht das Schälchen mit Chilipaste, das stets neben seinem Teller stand, für ihn eine Art Gesundbrunnen war. Wahrscheinlich war es der Cayennepfeffer, dem er seine strahlende Schönheit und seinen makellosen Teint zu verdanken hatte, da dieser, wie ich heute weiÃ, mit seinem hohen Gehalt an Vitamin A und C die Durchblutung fördert und die GefäÃwände erweitert, so dass der Körper besser mit Nährstoffen versorgt wird. Bei seinen Besuchen in meinem Elternhaus brachte Amir, wie es einer alten Sitte der Moguln entspricht, stets ein nazrana , ein Geschenk, mit. Dass ihm dies so mühelos gelang, trug viel zu der geheimnisvollen Aura bei, die ihn umgab. Einmal schenkte er meiner Mutter einen aus grünem Stein gefertigten Pokal und erklärte, dass die in dem Stein eingeschlossenen Mineralien heilende Eigenschaften hätten. Ich trank sofort etwas Wasser aus dem Pokal und war überzeugt davon, dass von nun an eine magische Kraft durch meine Adern strömen würde. Sollte ich also zufällig von dem wilden Mandelbaum im Garten fallen, auf den ich so gern stieg, würde ich mir nicht einen einzigen Knochen brechen. Glücklicherweise wurde diese Ãberzeugung nie auf die Probe gestellt.
Ein anderes Mal schenkte Amir meinem Vater einen kleinen Lederbeutel, der mit einer Schnur zusammengebunden war. Als er den Beutel öffnete und dessen Inhalt auf eine Servierplatte fiel, war mein Vater sprachlos. Amir hatte guchis mitgebracht, wild wachsende schwarze Pilze, die ebenso kostbar wie Trüffel waren. Sie gediehen nur in Nadelwäldern in einer Höhe von 2500 bis 5000 Metern. Solche Bergwälder gab es in den Provinzen Jamu und Kaschmir, die jetzt zu Indien gehören, und dennoch war es Amir irgendwie gelungen, eine Bezugsquelle in Pakistan zu finden.
Der Guchi wächst im Frühling, und der
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