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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nazneen Sheikh
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des Sanskrit befasste. 1581 zog der Mogulherrscher Akbar auf seinem Weg nach Zentralindien durch dieses Gebiet. Er ließ in der Gegend sowohl eine Festung wie auch die erste Schiffbrücke über den Indus erbauen. Schließlich ließ Großmogul Dschahangirs Frau, die eindrucksvolle Herrscherin Nur Dschahan, eine von ihr selbst entworfene Karawanserei in dieser Region bauen. Während mein Onkel das ebenfalls in der Nähe gelegene »Grab eines Unbekannten Tänzers« vor allem als architektonisches Rätsel ansah, suchte er sehr oft den Pavillon der Karawanserei, in dem es stets angenehm kühl war, weil ein leichter Wind vom Indus her wehte, als angemessenen Platz für ein Picknick aus.
    Wegen seiner strategisch wichtigen Lage kämpften die Sikhs und die Afghanen mit den Moguln erbittert um die Kontrolle über dieses Gebiet. 1819, nach dem Untergang des Mogulreichs, herrschten dort die Sikhs, bis sie von den Briten geschlagen wurden. Diese richteten dann während der Besetzung Indiens in Campbellpur einen Artilleriestützpunkt ein. Die pakistanische Regierung schließlich gab der Stadt später den Namen Attok.
    Ich hatte oft den Eindruck, dass mein Onkel unsere Familiengeschichte auf irgendeine Art und Weise mit dieser Region verknüpfen wollte. In seinem Haus dokumentierte er auf unzähligen Seiten akribisch den Werdegang jedes einzelnen Familienmitglieds. Man bat ihn stets um Rat, wenn es um eine Hochzeit, einen Grundstücksverkauf, die Wahl einer Bildungslaufbahn, eine Scheidung oder irgendeine andere wichtige Angelegenheit ging. Dies wohl deshalb, weil er den beeindruckenden Ruf hatte, immer eine Lösung zu finden, wenn er hinter seinem großen Schreibtisch in seinem Schlafzimmer saß. Als gern gewählter Trauzeuge bei allen Hochzeiten in der Familie war er auch Mittelpunkt vieler humorvoller Anekdoten. Bei einer moslemischen Hochzeitszeremonie ist es üblich, dass der Trauzeuge den Ehevertrag mit der Unterschrift der Braut übergibt. Einmal geschah es dabei, dass die Braut, von ihren Gefühlen völlig überwältigt, gar nicht mehr aufhören wollte zu weinen, so dass sich der Beginn der Zeremonie verzögerte. Mein Onkel, der darüber entrüstet war, wusste sich zu helfen. Er setzte kurzerhand ihren Namen in seiner eigenen Handschrift unter das Papier und eilte dann davon, um dem Bräutigam, der sich bereits am Rande eines Nervenzusammenbruchs befand, den Vertrag vorzulegen.
    Es war daher kein Zufall, sondern eine Art Familientradition, dass Tante Dil-Aras lockenköpfiger Verehrer an eben diesem Abend in das Haus meines Onkels zum Abendessen eingeladen war. Die unvergleichliche Schönheit von Dil-Aras untertassengroßen Augen und die erstklassigen kaschmirischen Rüben mit Lamm wären die Waffen, mit denen er erobert werden sollte. Ein romantisches Knistern lag in der Luft, als meine Tante im ersten Stock verschwand, wo sie dann den Rest des Tages in einem duftenden Ölbad verbrachte. Es kam mir so vor, als wäre diese Tante, die mit uns wandern ging und uns zeigte, wie man einen Kreuzknoten knüpfte, urplötzlich zu einem ganz und gar anderen, einem trägen Wesen geworden. Der erste Stock des Hauses hatte sich mit einem Mal in einen Mogulharem verwandelt, zu dem ungestüme Teenager wie wir keinen Zutritt mehr hatten. Meine Mutter und ihre Schwestern trugen Kleider und Schmuck hinauf, dann kam ein Hausmädchen mit einem schwarzen Bügeleisen aus Metall, das mit Kohlen gefüllt war. In regelmäßigen Abständen wurde auch etwas zu essen nach oben gebracht. Offensichtlich wurden dort gerade einige höchst weibliche und private Rituale durchgeführt.
    Die Frau meines Onkels sorgte in der Zwischenzeit angesichts einer Horde zappeliger Kinder jedes Alters, angefangen bei Kleinkindern bis hin zu Teenagern, für Unterhaltung. Tante Akhtar organisierte ein Mittagessen unter freiem Himmel, das aus gebratenen Puris und einem Curry aus Kichererbsen und Kartoffeln bestand. Wir scharten uns mit unseren Tellern um sie und sahen gespannt dabei zu, wie die runden Teigfladen der Puris beim Frittieren in der riesigen Eisenpfanne zu kleinen, durchscheinenden Ballons aufgingen. Als Nachspeise gab es Pistazien-Kulfi, eine Mogulversion von Eiscreme. Das Kulfi wurde in Tüten aus Ton gefüllt, die anschließend mit gesalzenem Mehl versiegelt wurden. Die tönernen Eiscremetüten stellte man dann in einen großen, mit

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