Zum Teufel mit David!: Roman (German Edition)
Pastellzeichnung – eine junge Frau, die eine Landschaft betrachtete. Sie hatte einen Chiffonschal um den Hals geschlugen, und ihre Augen waren hellblau. Patricks Augen. Ihr Haar hatte die Farbe von Gerstenstroh und umflutete ihre bloßen Schultern, aber Polly ahnte, daß sie ihm nur für das Gemälde diese Zügellosigkeit gestattet hatte. Die Frau war auf typisch englische Weise hübsch. Sie hatte ausgeprägte Wangenknochen, eine kräftige Nase, die manch einer möglicherweise ein bißchen zu groß finden würde, und einen wohlgeformten Mund mit einem kleinen Schönheitsfleck über der Lippe. Wenn der Künstler bei der Wahrheit geblieben war, dann hatte sie eine wundervolle Haut gehabt. Es war ein sehr schönes Bild.
»Sie ist sehr hübsch«, sagte Polly aufrichtig.
Mrs. Kidd nickte anerkennend. »Sie war Debütantin des Jahres, und ihr Foto wurde in Country Life abgedruckt, als sie sich verlobten. Sehen Sie.«
Wie ein Magier, der ein Kaninchen aus seinem Hut zaubert, beförderte Mrs. Kidd eine alte Ausgabe von Country Life zutage und blätterte rasch zur richtigen Seite. Unter der Fotografie eines wunderschönen Mädchens – offensichtlich splitterfasernackt bis auf eine Perlenkette – stand ihr Name. Lady Angela Harecourt.
Polly wußte nicht, was sie sagen sollte. Offenbar erwartete Mrs. Kidd einen Kommentar über Angelas Titel, aber nicht einmal Mrs. Kidd zuliebe fiel Polly dazu etwas ein. »Eine schöne Fotografie.«
Das stimmte sogar. Es war eins der Fotos, bei denen haufenweise Seidenschleier und künstliches Licht benutzt wurden und die aus einem ungewöhnlichen Winkel aufgenommen worden waren. Die Hilfsmittel hätten ein verwüstetes, faltiges Altweibergesicht zu einer unschuldigen, frischen Schönheit gemacht. Mit Angelas gutem Aussehen als Ausgangspunkt war der Effekt atemberaubend. Wahrscheinlich stand ein Abzug davon in Silber gerahmt auf Davids Schreibtisch.
Ob Lord und Lady Harecourt sehr enttäuscht gewesen waren, als ihre kostbare Tochter einen bloßen Mister geheiratet hatte? Während sie ihr Augenmerk auf das Gemälde eines alten Meisters richtete, das laut Mrs. Kidd schon seit Generationen im Familienbesitz war, kam Polly zu dem Schluß, daß die Harecourts nichts dergleichen empfunden hatten. Davids Vorfahren waren auch sehr vornehm, aber möglicherweise keine Speichellecker – wahrscheinlich hatten sie es nur versäumt, sich vor dem richtigen Monarchen in den Staub zu werfen.
»Sie war ihm eine wundervolle Frau«, sagte Mrs. Kidd mit einem Hauch Zärtlichkeit in der sonst so strengen Stimme. »Sie hat nicht außerhalb des Hauses gearbeitet.« Mrs. Kidd vergaß jede Sentimentalität und wandte sich grimmig an Polly. »Ich habe nichts für Frauen übrig, die arbeiten gehen – nicht wenn sie einen Mann haben, der sie unterhält. Und Mr. Locking-Hill ist da ganz meiner Meinung.«
Obwohl Polly bezweifelte, daß David der ehemaligen Haushälterin seine Ansichten über diesen Punkt anvertraut haben würde, mußte sie einräumen, daß Mrs. Kidd wahrscheinlich recht hatte.
»Oh«, machte Polly in einer Weise, die Mrs. Kidd zum Schweigen bringen sollte.
»Ja«, bekräftigte Mrs. Kidd ungerührt. »So wurde er erzogen.«
Polly lächelte nichtssagend – endlich verstand Mrs. Kidd den Wink und hielt den Mund.
Den Salon kannte Polly schon, trotzdem ließ sie sich alles von Mrs. Kidd zeigen. Sie zeigte sich aufrichtig begeistert von der Patina auf dem Beistelltisch und dem glänzenden Silber. Mrs. Kidd machte sie auch auf die vielen gedruckten Einladungen auf dem Kaminsims aufmerksam.
»Mr. Locking-Hill ist immer sehr beschäftigt. Ständig unterwegs zu Dinnerparties und so.«
»Aha.«
»Ja. Sehen Sie, er hat seinen Platz in der Gesellschaft – er hält das sehr hoch.«
Polly sah plötzlich David vor ihrem geistigen Auge, wie er ›seinen Platz in der Gesellschaft‹ wie Atlas die ganze Welt über seinen Kopf stemmte. Sie drehte sich zum Fenster, damit Mrs. Kidd ihr respektloses Grinsen nicht sah.
Sie hätte stundenlang aus dem Fenster schauen und die Aussicht genießen können, obwohl das Wetter noch schlechter geworden war und der Regen wie ein grauer Schleier über dem Tal hing. Aber Mrs. Kidd forderte wieder ihre Aufmerksamkeit. Mit Davids Geschmack in Sachen Kunst war sie offenbar nicht einverstanden.
»Mrs. Locking-Hill mochte Bilder, auf denen man etwas erkennen kann«, erklärte sie, als sie vor einem Kunstwerk standen, das sehr an John Pollock erinnerte. »So etwas hätte sie
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