Zum Teufel mit David!: Roman (German Edition)
weg. Polly fragte sich, wieso David nicht seiner Berufung gefolgt und statt dessen Weinhändler geworden war. Als professioneller Auktionator hätte er im Handumdrehen ein Vermögen verdienen können.
Er bot gerade ein Wochenende in Mailand mit Besuch in der Scala an, als Polly eine leicht schleppende Stimme hinter sich rufen hörte: »Einhundertachtzig!«
David wandte sich in ihre Richtung – das blanke Entsetzen war ihm ins Gesicht geschrieben. Einen Moment lang hatte Polly den schrecklichen Verdacht, daß ihr bloßer Anblick ihn mitten im Satz abbrechen ließ, aber gleich darauf wurde ihr klar, daß er sie gar nicht zur Kenntnis genommen hatte.
»Der Preis steigert sich jeweils um zehn Pfund«, erklärte er dem fröhlichen Bieter hinter ihr streng.
Sein Ton war so beißend, daß sich Polly umdrehte, um nachzusehen, wer David den Spaß an seinem Spiel so gründlich verdorben hatte.
Er war groß, außergewöhnlich dürr und in enganliegendes Leder gekleidet. Die Aknenarben auf seinem stoppeligen Kinn verrieten seine Jugend. Er war vollkommen durchnäßt, sein blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und strähnig vom Regen. Wasser tropfte von seinen Kleidern auf den karierten Teppich. Abgesehen von dem Gestank nach abgestandenem Bier und der Haarfarbe, war er das Ebenbild des Auktionators. Das Erscheinen seines Sohnes hatte David offenkundig einen Schock versetzt, und jeden Augenblick konnte es zu einer peinlichen Szene kommen.
David verdiente es, in Verlegenheit gebracht zu werden. Er verdiente es, in siedendem Öl zu schmoren, weil er mit einer Ratte wie Hugh Bradley so dick befreundet war. Aber Polly hatte es noch nie ertragen können, die Art von öffentlicher Demütigung mitanzusehen, die Gameshows im Fernsehen so beliebt machten. Außerdem verriet ihr ein eingehender Blick auf Davids Sohn, daß es dem Jungen bald fürchterlich schlecht werden würde.
Wenn all diese Leute Freunde von Thalia und Hugh waren, wäre es eine gerechte Strafe für sie, vollgekotzt zu werden. Doch möglicherweise waren sie ja auch gar keine persönlichen Freunde der Bradleys, sondern nur Menschen, die wirklich Englands Umwelt und die traditionelle Architektur schützen wollten.
In diesem Fall war es Pollys Pflicht, den Jungen so schnell wie möglich aus dem Saal zu schaffen.
Kapitel 6
H allo«, flüsterte sie. »Du hast das Dinner verpaßt. Soll ich dir etwas zu essen besorgen?«
Das Angebot, ihm die Herrentoilette zu zeigen, wäre zu aufdringlich gewesen und hätte vermutlich eine glatte Abfuhr nach sich gezogen.
Der Junge betrachtete Polly mit einem glasigem Blick, der nicht nur vom Biergenuß herrührte. »Ich will ein Wochenende in Mailand verbringen.«
»Kannst du dir das leisten? Bestimmt wird ein kleines Vermögen dafür geboten. Du wärst besser dran, wenn du erst mal etwas essen würdest.«
»Mein verdammter Vater würde mir das sowieso nicht gönnen.«
Polly spürte, daß er sich geschlagen gab. Mitgefühl für seine Jugend und Hoffnungslosigkeit und ein lange unterdrückter mütterlicher Instinkt weckten den Wunsch in ihr, für ihn zu sorgen. »Komm mit. Ich kümmere mich um dich.« Sie faßte nach seinem Arm und führte ihn an einer Reihe von Bisonköpfen vorbei. »Ich kenne deinen Vater flüchtig.«
»Schön für Sie, na und?« sagte er laut, aber zum Glück waren sie schon auf dem Flur. »Ich heiße Patrick – Patrick Locking-Hill.«
»Hallo, Patrick. Wann hast du zum letztenmal was gegessen?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Macht nichts. Es ist noch eine Menge übrig. Möchtest du dich zuerst ein wenig waschen?«
Sie schob ihn durch eine Tür, die für diesen Abend mit einem Schild, auf dem »Herren« stand, gekennzeichnet worden war. Durch den offenen Spalt sah sie, daß die Wasserhähne die Form von springenden Delphinen hatten, und hörte Patricks heftiges Würgen. Sie wartete. Schließlich rauschte Wasser – das bedeutete, daß Patrick aufgehört hatte, sich zu übergeben, und sich das Gesicht wusch.
Eine Minute später erschien er wieder auf dem Flur – offenbar hatte ihn die Zwiesprache mit der weißen Schüssel ein wenig kuriert. »Haben Sie vorhin etwas von Essen gesagt?«
Sie konnte ihn nicht gut in die Küche bringen, wo er von einer Gruppe Frauen angeglotzt würde, die inzwischen sicher längst die Hoffnung auf mehr Champagner aufgegeben hatte. Glücklicherweise gab es einen kleinen Vorraum, in den sie ihn setzen konnte. Irgendwie war das Kämmerchen von allen
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