Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)
unfreundlich. Ich hörte die zwei Männer lachen, und ein Lächeln huschte über Andrés Gesicht.
»Ich sollte dich fotografieren«, sagte er. Ich ging nicht darauf ein. Ich hatte nicht den Eindruck, sein Vorschlag wäre ernst gemeint.
Als ich wieder auf der Straße stand, hatte es aufgehört zu regnen. Das erhoffte Gefühl der Erleichterung wollte sich nicht einstellen. Ich sah auf die Uhr. Es war nun Viertel nach elf.
In der folgenden Nacht schlief ich unruhig und wachte schweißgebadet immer wieder auf. Gegen zwei Uhr suchte mich ein Alptraum heim, der mir in allen Einzelheiten noch lange in Erinnerung bleiben sollte. In diesem Traum öffnete ich Andrés Kühlschrank, was mich so viel Mut und Beherrschung kostete, als gelte es, ein gefährliches Hindernis oder einen tiefen Schacht zu überwinden. Der Kühlschrank im Traum war viel größer als der echte in seinerKüche, und anders als dieser stand er nicht in Andrés Wohnung, sondern in einem feuchten, weitläufig labyrinthischen Kellergewölbe, in dem es nach Fäkalien und Urin roch und in dessen Ecken sich rohe Holzverschläge mit zahlreichen Toiletten befanden, die ich zum Glück nur ahnte. Es blieb mir erspart, sie zu sehen, doch hörte ich immer wieder Geräusche, die mir furchtbar peinlich waren. Ich war überzeugt, daß die Toiletten sehr schmutzig seien, und die Anwesenheit anderer Männer, die im Gegensatz zu mir kein Interesse an Andrés Kühlschrank hatten, sondern bloß die Toiletten benutzen wollten, war mir unangenehm. Wie konnte man nur, hier unten! Doch sie taten das mit der größten Selbstverständlichkeit, ohne den Ekel und die Beschämung zu empfinden, die mir zusetzten. Ich wußte, daß sie die Klos nicht nur im Stehen benutzten, und versuchte mich von dieser abstoßenden Vorstellung zu befreien, indem ich mich auf den Kühlschrank konzentrierte, aber es gelang mir nicht völlig. Ich war sicher, daß es in den Toiletten kein Klopapier gab.
Der Keller befand sich, auch daran gab es keinen Zweifel, im selben Gebäude, in dem André lebte, erhellt wurde er nur durch einige Glühbirnen, die von der Decke hingen und sich flackernd in einem Luftstrom bewegten, dessen Herkunft nicht erkennbar war. Irgendwo über mir mußte die Concierge wohnen, die das merkwürdige Treiben hier unten entweder stillschweigend duldete oder ignorierte. Sicher gab es hier Ratten und anderes Ungeziefer, und ich wünschte mir, nicht hier zu sein, aber sosehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, mir einzureden, dies sei ein Traum, nichts weiter, und es genüge, daraus zu erwachen, um ihn zu beenden. Er ließ sich nicht beenden.
Er ließ sich nicht beenden, bevor der Eisschrank nicht von mir geöffnet worden war, das wußte ich. Ich sah weder Gesichter noch Gestalten, die bedrohliche Anwesenheitder anderen manifestierte sich weiterhin lediglich durch die Geräusche, die sie machten, hin und wieder klappte krachend eine Klobrille herunter, oder eine Wasserspülung wurde gezogen. Allein von den gurgelnden Geräuschen wurde mir übel. Doch statt zu fliehen, beherrschte ich mich, ich war nun einmal hier und würde tun, was offenbar getan werden mußte.
Ich öffnete Andrés Eisschrank. Dort lag der Kater unserer Nachbarn, nicht etwa erfroren oder benommen, sondern quicklebendig, aber mit einem so bösen, gefährlich menschlichen Grinsen, daß ich vor Entsetzen die Tür gleich wieder zuschlug. Es gab einen trockenen Widerhall, dann herrschte für einige Augenblicke absolute Ruhe im Kellergewölbe, als hielten die unsichtbaren Anwesenden den Atem an. Die Katze hatte keine Anstalten gemacht, den Eisschrank zu verlassen, sie schien sich darin wohl zu fühlen. Hatte sie nicht sogar einen überlegenen Eindruck gemacht? Als ich die Tür nach wenigen Sekunden vorsichtig wieder öffnete, fürchtete ich, der Kater würde mich anspringen, dann aber sah ich, daß er tot war. Ich streckte die Hand aus, berührte das glanzlose Fell und zuckte zurück. Die Totenstarre hatte eingesetzt, aus seinem Gesicht war der sonderbare Ausdruck von vorhin verschwunden. Die Augen waren geschlossen. Er war wieder ein Tier.
Ich hörte, wie in mehreren Verschlägen die Spülung gezogen wurde. Ich hoffte, unentdeckt zu bleiben. Ich hätte es jetzt nicht ausgehalten, einem dieser fremden Menschen gegenüberzustehen, die in unmittelbarer Nähe ungeniert ihre intimen Geschäfte verrichteten.
Erst dann wachte ich auf. Ich konnte mich an jedes Detail erinnern, nur nicht daran, was sich außer der
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