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Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Zur falschen Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain Claude Sulzer
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Emil an seinen eingebildeten Ausschweifungen teilhaben, und nachdem er seine anfängliche, in Andrés Augen unhaltbare Eifersucht überwunden hatte, fand auch Emil Gefallen an seinen ausgedachten Eskapaden. Er schloß sich ihnen an wie einer Expedition in unbekanntes Gebiet. Auch er begann sich umzusehen. Es war ein Abenteuer, das Gefahren in sich barg, die ihnen nicht bewußt waren. Als sie sich einstellten, war es zu spät, an den Anfang der Reise zurückzukehren.
    Eines Tages setzte André seine Fantasien in die Tat um, und es dauerte nicht lange, bis Emils Verdacht sich erhärtete. Er stellte André zur Rede. Seine Befürchtungen hatten ihn nicht getäuscht. Es war allerdings weder der Nachbar noch ein Mitschüler, der Andrés Aufmerksamkeit erregt hatte, sondern ein junger Tänzer vom Theater. Der Unbekannte war André auf der Straße gefolgt und hatte ihn angesprochen. André hatte ihn nicht abgewiesen.
    Obwohl Emil ihn um Einzelheiten bat, blieb Andrés Bericht diesmal spröde und schmucklos. Die Wirklichkeit hielt offenbar Dinge bereit, die für die Ohren des Ausgeschlossenen, der Emil nun geworden war, nicht bestimmtwaren. Vielleicht wollte André ihn schonen. Klar war nur, daß Emils Gegenwart nun nicht mehr so dringend nötig war wie bisher. Auf seine Bitte, den jungen Tänzer kennenlernen zu dürfen, ging André nicht ein. Die Trennung hatte begonnen.
    Dennoch blieben sie Freunde. Den Tänzer, der vielleicht ein Schauspielschüler war, bekam Emil ebensowenig zu Gesicht wie den Schauspielschüler, der vielleicht ein Verkäufer war, und auch die anderen Jungen, Kellner und Taxifahrer, Friseure und Ehemänner, die André in immer kürzeren Abständen näher kennenlernte, wurden ihm nicht vorgestellt. Am Ende hatten sie weder Namen noch Berufe.
    Der Rausch, in den er sich versetzte, indem er all diese männlichen Wesen um sich rotieren ließ wie kleine Planeten, schien sich mit jedem neuen, der hinzukam, noch zu steigern, und irgendwann hörte Emil auf, sich selbst zu quälen, indem er André nicht mehr nach seinen ständig wechselnden Eroberungen fragte. Deren Existenz und Andrés Sucht nach ihnen mit einem Achselzucken abzutun war weniger erniedrigend als der unselige Drang, Einzelheiten erfahren zu wollen, die ihm dann doch vorenthalten wurden.
    Sie brauchten keine Anstrengungen mehr zu unternehmen, beide Betten benutzt aussehen zu lassen. Wenn Emil bei André übernachtete, was immer seltener vorkam, schliefen sie getrennt. Schließlich blieben die Besuche ganz aus. Sie sahen sich im Schulhof, telefonierten oder besuchten Lokale, in denen André nicht verkehrte. Andrés Drängen, ihn dorthin zu begleiten, wo jeder ihn kannte, wie er behauptete, blieb erfolglos. Emil hatte keine Lust, solche Männer kennenzulernen.
    Erst nachdem sie sich am Bahnhof verabschiedet hatten und André, der inzwischen sein Abitur bestanden hatte, inden Zug nach Paris gestiegen war, überwältigte Emil ein Gefühl des Verlassenseins, das er nicht empfunden hatte, solange André in seiner Nähe gewesen war. Es mußten Tage vergehen, bis es als immer leichter gewordene Last ganz von ihm abfiel. Danach fühlte er sich offen für einen Neubeginn.

    Vier Monate später fuhr ihn sein Vater in die Klinik. Was geschehen war, ließ sich nur schwer in Worte fassen. Gezänk mit den Eltern, Aufbegehren gegen die Schule und das, was man von ihm erwartete, absonderliche Ideen, etwas zu sein, was er nicht war und niemals werden würde, dann der Zusammenbruch, der leiser vonstatten ging als das, was dazu geführt hatte und dennoch beunruhigend war. Mit Hilfe von Medikamenten kehrte danach tiefe Ruhe ein.
    Er sprach mit Professor Hedinger nicht nur über seine Schwierigkeiten mit den Eltern, sondern auch von der gemeinsamen Zeit mit André. Er erhoffte sich einen Rat, Ablehnung oder Zustimmung, keine Zurückhaltung oder Gleichgültigkeit. Die Zeit mit André schien weiter entfernt als die Zukunft. Manchmal glaubte er sogar, er habe sie sich nur eingebildet. Um so leichter fiel es ihm, mit dem Arzt darüber zu sprechen. Wie sollte er das überstehen? Wie konnte er das irgend jemandem erklären? Professor Hedinger, auf den er viel Vertrauen setzte, hatte keine Antwort. Emil hatte den Eindruck, ihn interessierten andere Dinge.
    André und Emil telefonierten nicht oft. Wenn sie telefonierten ging ihnen der Gesprächsstoff schnell aus. Während André andere Interessen hatte, hatte Emil keine. Auch ihre Korrespondenz war dürftig, abgesehen von den

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