Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)
Erfahrung bringen konnte. Daß Emil Ott schon zweimal in der Klinik gewesen war, daß es sich zu diesem Zeitpunkt also um seinen dritten Aufenthalt handelte, erfuhr sie später von ihm selbst. Er wirkte offen und ehrlich. Er schämte sich nicht. Sie hatte nicht den Eindruck, daß er ihr etwas verheimlichte. Die Tatsache, daß er sich in der psychiatrischen Klinik von K. aufhielt, war der Schlüssel und das Geheimnis zugleich. Er würde es lüften, wann es ihm paßte, wenn nicht, dann eben nicht.
Sie verabredeten sich drei Tage später zu einem Treffen außerhalb der Klinik, die Emil nach Belieben verlassen konnte, was er jedoch nur selten tat. Veronika schlug einen Tea-Room vor, der um sieben Uhr schloß. Sie machte sich keine Gedanken darüber, was sie danach unternehmen würden. Emil schlug vor, sich beim Brunnen zu treffen und dann weiterzusehen. Die Stadt war klein, Veronika kannte nicht viel mehr als den Weg von zu Hause zur Klinik,von der Klinik zur Hauptstraße, wo sich die Läden befanden, in denen sie einkaufte, und von dort nach Hause. Sie würden vielleicht essen gehen. Würden sie flirten, Hand in Hand durch die Stadt spazieren, die Auslagen betrachten, ein Kuß, eine Umarmung? Ihr wurde heiß bei dem Gedanken, etwas falsch zu machen. Die Vorstellung, daß er sie berührte, war allgegenwärtig.
Veronika verließ ihre kleine Wohnung erst, als sie sich davon überzeugt hatte, daß alles sauber war, das Bad, die Küche und das Wohnzimmer, das auch als Schlafzimmer diente. Es war eine Einzimmerwohnung, die sich Anderthalbzimmerwohnung nannte, warum, wußte sie nicht. Kein Staub, keine Flecken, keine Spuren, die Badewanne tadellos sauber, die Böden, die Kacheln, das Waschbecken, die Klobrille.
Die Vorhänge waren zugezogen, die Falten lagen in gleichmäßigen Abständen, obwohl die Gardinen leicht waren. Zu leicht, wie sie fand. Sie hätte sich schwerere gewünscht, und sich bei der gemeinsamen Wohnungseinrichtung ein wenig mit ihrer Mutter darüber gestritten. Nur gerade so lang, daß keine es allzu ernst nehmen konnte. Die Mutter sagte: »Wozu«, die Sache war erledigt, und man lachte darüber. Schwerere Vorhänge wären besser gefallen, hätten besser verdunkelt, hätten besser gepasst, aber sie waren zu teuer.
Sie war schon halb aus der Tür, als sie auf dem Absatz umkehrte, um die Stehlampe anzuschalten. Obwohl es draußen noch hell war.
Einer unerklärlichen Eingebung folgend, hatte sie am Nachmittag, von der Arbeit kommend, eine Vase gekauft, die nun auf dem Eßtisch stand, der das Zimmer fast zur Hälfte ausfüllte, wodurch es winzig wirkte. Das Bett dahinter war auf den ersten Blick nicht zu sehen, aber wenn man einen der vier Stühle nach hinten schob, berührte manschon dessen Rahmen. Sie hätte Blumen kaufen sollen, um die Existenz der neuen Vase zu rechtfertigen. Nun stand sie schmucklos mitten auf dem Tisch.
Hätten sie sich in ihrer Wohnung verabredet, wäre sie gezwungen gewesen, etwas zu kochen. Sie konnte nicht kochen, jedenfalls war ihre Mutter davon überzeugt, und sie war sich nicht sicher. Wenn sie es einmal versuchte, schmeckte es ihr, doch war sie nicht überzeugt, daß es den anderen schmeckte. Ihm hätte es vielleicht geschmeckt. Sie öffnete meist Dosen oder machte aus Flocken und heißer Milch Kartoffelbrei. Sie tat etwas Butter dazu. Ihre Mutter hätte es als Verschwendung bezeichnet, denn die Butter war doch schon in der Flockenpackung vorhanden. Ihr schmeckte das. Mit Butter und etwas Muskat schmeckte es besser. Dazu ein Schweineschnitzel und etwas Gemüse. Es hätte ihm vielleicht auch geschmeckt.
Die Angst, etwas falsch zu machen, lähmte sie fast.
Nie und nimmer hätte sie sich getraut, ihn nach Hause einzuladen, nicht nur weil es unschicklich war. Dabei hätte sie ihm zeigen können, wie sauber sie ihre kleine Wohnung hielt und wie aufgeräumt alles war, aber auch, wie uninteressant.
Sie war zu aufgeregt, bestimmt hatte sie ein Detail übersehen, das ihm sofort ins Auge gefallen wäre. Wieso konnte sie nichts tun, ohne sich umständlich darauf vorzubereiten? Es war beim Anziehen nicht anders als beim Empfangen von Gästen. Darin hatte sie keinerlei Übung. Was für ein Glück, daß sie nicht zur Untermiete lebte. Die Vorstellung, bei jemandem untergekommen zu sein, der jeden ihrer Schritte überwachte, auch wenn sie nichts tat, was man ihr hätte vorwerfen können, war ihr entsetzlich. Ihr Lebenswandel war so tadellos wie der Boden ihrer Küche. Sie hatte sich
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