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Zurück ans Meer

Titel: Zurück ans Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schwachsinn, absoluter Schwachsinn«, verkünde
     ich. »Die Beziehung zu verheirateten Söhnen kommt mir wie eine einvernehmliche Scheidung vor, wenn du mich fragst.«
    »Findest du das nicht etwas übertrieben?«
    »Nein, ich finde, das trifft es genau – zumindest im Moment. Ich habe mir mein Leben nie ohne eine Beziehung des Gebens und
     Nehmens mit jedem meiner Kinder vorgestellt, und ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal auch nur einen Augenblick
     mit einem von ihnen allein verbracht hätte. Neulich habe ich mich bei einer Freundin beschwert, dass Andy nicht tot ist, sondern
     bloß verheiratet.«
    »Nun mach mal halblang, Joan, sie rufen schließlich an.«
    »Sie rufen
dich
an, wenn sie ein Problem haben oder Geld brauchen, mich aber nie. Ich bin die Frau, die nicht dazugehört,das steht außer Frage«, sage ich und winde die Lichterkette durch die Zaunlatten.
    Ich weiß, dass das nicht ganz stimmt. Sobald die Worte aus dem Mund sind, überfällt mich eine lebhafte Erinnerung an meinen
     letzten Besuch in Kalifornien bei Andrew, unserem älteren Sohn, direkt nach der Geburt seines dritten Sohnes. Ich war kaum
     ein paar Stunden in ihrem Haus, da konnte ich bereits die Anspannung spüren. Es ist das eine, die Triumphe und Freuden seiner
     Kinder zu beobachten, und etwas ganz anderes, an ihrer Qual teilzuhaben – wie bei einer Reality-Show im Fernsehen, die schief
     läuft. Als die Jungs klein waren, war es so leicht, ihre Kränkungen wegzuküssen und ihre Wunden zu verbinden. Aber jetzt schien
     Andy mit Verantwortung überlastet zu sein – nicht genug Geld, zu viel Arbeit   –, und in einem schwachen Moment fragte er mich, was ich früher unternommen hätte, wenn etwas aus dem Ruder lief. Da ich nicht
     genau wusste, was er damit meinte, erwiderte ich vorsichtig: »Es durchgestanden.«
    »Das ist nicht gerade hilfreich«, schoss er zurück.
    »Tja, es ist die Härte, die es zu etwas Großartigem macht«, sagte ich lächelnd. »Wenn es bei einem deiner Marathons schwierig
     wird, was tust du dann mental, um nicht abbrechen zu müssen?« Das war eine riskante Analogie. Seit ein paar Jahren lief Andy
     Ultra-Marathons über Strecken von fünfzig und einhundert Meilen. Robin und ich hatten beide das Gefühl, dass die körperliche
     Anstrengung zu viel war, ganz zu schweigen von dem Druck, den das auf sein tägliches Leben ausübte. Mit zwei und nun drei
     Kindern, einer Ganztagsstelle als Rektor einer Privatschule und einer modernen Ehe, in der vom Ehemann erwartet wird, im Haushalt
     genauso viel zu tun wie die Ehefrau. Andy musste um halb fünf aufstehen, um seine zehn Meilen zu laufen, anschließend half
     er die Kinder in die Schule zu bringen und dann arbeitete er den ganzen Tag. Die Wochenenden waren sogar noch schlimmer.Samstags und sonntags dauerten seine Läufe manchmal sechs bis sieben Stunden. Aber er war sehr gut und eindeutig entschlossen,
     Erfolg zu haben. Mit einer Mischung aus Furcht und ungeheurem Stolz verfolgte ich jeden seiner Läufe aus der Ferne.
    »Hör zu, in den letzten beiden Jahren war dein Leben eine regelrechte Achterbahnfahrt«, fuhr ich fort. »Du hast dich im ganzen
     Land beworben, bevor du diese Stelle angenommen hast. Du hast dein Haus in Phoenix verkauft, bist hierher nach Oakland gezogen,
     hast beschlossen zu mieten, weil du dir den Kauf nicht leisten konntest, und jetzt noch ein drittes Kind bekommen – Himmel
     noch mal, für wen hältst du dich, dass du nicht den einen oder anderen Kratzer abbekommst?« Ich sah ihm an, dass er erleichtert
     war. »Innehalten, dir Zeit nehmen, einfach nur da sein ist mein Rezept für dich in dieser Situation, Andy.«
    »Ja, aber meine Frau hat gerade ein Kind bekommen.«
    »Umso mehr Grund, ruhig zu werden – hier zu sein, aber dir Ruhe zu gönnen. Zu überlegen, was du hast, und nichts Neues anzunehmen.
     Gibt dir selbst die Zeit und den Raum, wieder zu Kräften zu kommen. Deine Frau braucht das von dir.«
    »Ich werd’s versuchen«, sagte er matt.
    Bevor ich die Rückreise antrat, sagte ich zu ihm: »Vergiss nicht, Andy – kein Mensch ist eine Insel. Wir haben endlich wieder
     zu reden begonnen. Lass uns den Dialog fortsetzen. Das tut uns beiden gut. Und beantworte um Himmels willen meine E-Mails .«
    »Weißt du, Mom, das werde ich vielleicht nicht tun.«
    »Warum nicht?«
    »Weil du zufällig einer der wenigen Menschen auf der Welt bist, den ich tatsächlich enttäuschen kann.« Ich wusste nicht recht,
     wie

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