Zurück ans Meer
musste
einen Job finden, irgendeinen Job, und durfte mich nicht darum kümmern, wie meine Entscheidung auf andere wirken würde. Eine
ordentliche Arbeit im Fischmarkt für einen ordentlichen Tageslohn war alles, worauf es ankam.
Ich tat das, was ich am besten konnte, und schrieb über meine Erfahrungen während des allein verbrachten Jahres. Obwohl das
Schreiben schwer war und es mir noch schwerer fiel, einen Verlag zu finden, fühlte ich mich nicht mehr schwach und unterlegen
wie bei meiner Ankunft auf Cape Cod. Die zähe Arbeit des Schreibens forderte mich heraus, machte mich noch emsiger, und in
der langen Zeit, in der mein Buch abgelehnt, von mir umgeschrieben und schließlich veröffentlicht wurde, begann ich mich sehr
kompetent
zu fühlen – nicht nur als Autorin, sondern als selbst geschaffene Person.
Als das Buch ein Erfolg wurde und Frauen aus dem ganzen Land mir schrieben, um mir zu sagen, meine Worte seien ihre Worte,
schwand meine Verwirrung. Ohne es zu wollen, war ich zu einer Vermittlerin für Veränderung geworden – einer Frau, die bereit
ist, ihre Erfahrungen zu teilen, um anderen Frauen zu helfen, sich selbst zu finden. Endlich glaubte ich, meine Identität
gefunden zu haben, womit das Gefühl verbunden war, mir selbst treu zu sein, oder, wie die Eriksons es bezeichneten, die Stärke
der
Treue
zu besitzen.
Ich war nicht mehr isoliert, im Gegenteil, es gab zu viele Menschen in meinem Leben. Doch dabei gewann ich eines – den Respekt
meines Mannes. Während wir endlos darüber redeten, wer wir jetzt waren, im Gegensatz zu früher, wuchsen wir im Geiste, was
zu einem neuen Grad der Intimität führte. Kurz gesagt, ich hatte endlich
Liebe
gefunden – nicht die jugendliche, an die ich mich schwach erinnerte, sondern etwas Tieferes und Behagliches wie ein alter
Lieblingspullover.Das wurde mir bewusst, als er mir letzte Weihnachten eine Glasschale schenkte, auf die er »Verheiratet und unvollendet« eingravieren
ließ – unvollendet, weil wir uns, statt den Rest unseres Lebens in Stagnation zu verbringen, entschieden haben, stärker einbezogen
zu leben: er in Hinsicht auf die lokale und bundesstaatliche Politik, ich durch mein Schreiben und die Workshops, und wir
beide miteinander.
Mir geht auf, dass wir Erwachsenen immer begierig sind, den Leistungen unserer Kinder Beifall zu spenden – Gehen, Klettern,
Springen, Rennen, Schreiben und Sprechen –, unsere eigenen aber kaum wahrnehmen. Äußerlich verändern wir uns vielleicht nicht so sehr (wie Kinder im Wachstum), aber
innerlich entwickeln wir uns die ganze Zeit weiter. Das Vermessen unserer Tage wird umso wichtiger, und sei es nur darum,
dass wir unseren Fortschritt verfolgen und fortfahren müssen, unsere inneren und persönlichen Wachstumssprünge zu fördern.
Jedes Jahrzehnt bringt uns eine neue Gewissheit – eine Zeit des Übergangs – einen Gang durch das Portal auf die andere Seite.
Wäre es nicht interessant, wenn es am Ende jeder Dekade ein Ritual zur Feier der Erfolge einer Frau gäbe – ihre Krisenbewältigung,
gemeisterte Lektionen, veränderte Einstellungen und Ideale –, damit wir nicht nur altern, sondern den Lebensfortschritt ehren, ritualisieren und bestätigen? Rückblickend erstaunt mich
dieses spezielle Jahrzehnt. Aber was ich dabei vermisse, ist die Dankbarkeit, dass ich sowohl den Wunsch als auch die Neigung
hatte, mich die ganze Zeit weiter anzustrengen. Es ist vier Uhr morgens, und ich habe das Gefühl, auf etwas gestoßen zu sein.
Heute Nacht werde ich mich nicht mehr ins Bett legen.
In dem Moment höre ich den Aufprall der Zeitung auf der Vorderveranda. Ich wickle mich fest in die Decke und trete hinaus
in den frühen Morgen, nur erleuchtet von der riesigen Mondkugel. Die frische Luft weckt mich wie aus einem tiefen Schlaf,
und ich bücke mich rasch, um die Zeitung aufzuheben,da sehe ich die Schlagzeile: »Monomoy mit South Beach und dem Festland verbunden«.
Selten nehme ich Notiz von den Nachrichten und lasse mich erst recht nicht davon berühren. Aber an diesem Morgen bin ich gleichermaßen
verblüfft und neugierig, laufe zurück zu dem Fenstersitz und verschlinge den Artikel über den mir so kostbaren Strand. Dort
wurde ich vor etwa zehn Jahren abgesetzt, um mit den Seehunden zu schwimmen; dorthin lasse ich die Frauen meiner Wochenendworkshops
per Boot bringen, damit sie allein und in Ruhe ihre Gedanken sammeln können, bevor sie zum Leuchtturm
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