Zurück ans Meer
verängstigt. Das Wasser und die Küstenlinie sahen ganz anders
aus, als ich zum letzten Mal hier war.
»Kennst du dich auf Monomoy aus?«, fragt er.
»Ich war hier schon mal, aber nicht mehr in letzter Zeit. Jede geplante Fahrt wurde aus dem einen oder anderen Grund abgesagt.
Aber es sollte nicht zu schwierig sein, von Osten nach Westen zu gehen, vor allem, wenn ich den Leuchtturm von Chatham als
Orientierungspunkt nehme«, sage ich und versuche, zuversichtlich zu klingen.
»Kein Problem. Ich bin gut darin, hübsche Damen zu entdecken, die am Strand entlang wandern. Ich werde dich finden«, antwortet
er mit einem Glitzern in den Augen.
Wir nähern uns mehreren Sandbänken, die unvermutet aus dem smaragdgrünen Wasser aufragen. »Der letzte Vollmond hat die Höhen
und Tiefen extremer gemacht«, erklärt er, eine Hand am Steuerrad, während er die andere über die Bordwand hängen lässt, um
sicherzugehen, dass das Wasser tief genug für das Boot ist. »Das Wasser läuft schneller ab, als ich erwartet hatte«, murmelt
er und kippt den Motor hoch, damit er nicht über den Boden schrammt. »In dieser Gegend grabe ich nicht oft nach Muscheln.
Kannst du irgendwelche Wahrzeichen ausmachen?«
O je, ich hoffe, er rechnet nicht damit, dass ich ihm dieRichtung weise. Wenn ich es schaffe, zehnmal im Jahr hier raus zu kommen, kann ich mich glücklich schätzen. Trotzdem spüre
ich den sanften Druck, etwas beizutragen, und suche hektisch den fernen Strand nach etwas Wiedererkennbarem ab.
Bei abgeschaltetem Motor ist nur noch das Geräusch der an den Bootskörper schwappenden Wellen und einer hin und wieder kreischenden
Möwe zu hören. In den trüben Wassern des Unbekannten treibend, möchte ich plötzlich den Plan für den heutigen Tag umstoßen
– zum Hafen zurückkehren und den Rest des Tages an einem warmen Feuer genießen. In dem Moment deutet Hillary nach Osten. »Wow,
schau dir mal an, wie die da rüberdonnern«, ruft er, und ich blicke mit zusammengekniffenen Augen zu den Brechern, die über
den flachen Strand rollen und in unsere ruhige Bucht drängen. »Das sind ja Wahnsinnsdinger«, ruft Hillary. »Anscheinend bricht
jedes Mal, wenn sich ein Meeresarm schließt, ein neuer auf.« Er lässt den Außenborder hinunter und wirft ihn an, damit wir
näher an unser Ziel kommen. Ich spüre, wie er überlegt, was als Nächstes zu tun ist, was er mit mir machen soll oder eher,
wie er mich los wird!
»Hör zu, wenn wir die Landbrücke erreichen, wo zum Teufel die auch sein mag, musst du schnell rausspringen, weil ich befürchte,
dass wir sonst auf Grund laufen.«
»Aye, aye, Sir«, witzele ich und nehme es als Stichwort, meine Jogginghose hochzukrempeln, meinen Rucksack umzuhängen und
den Reißverschluss meines wasserfesten Parkas zu schließen. Hillary hält den Blick weiter auf den Horizont gerichtet.
»O mein Gott«, ruft er kurz darauf, während wir beide geradeaus auf eine weiße Sandlinie starren, die den Himmel vom Meer
trennt. »Da ist die Landbrücke. Ich würde es nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Junge, das
wird das Leben einer ganzen Menge Leute entscheidendverändern. Alle werden sich anpassen müssen – die Fischer, die Tiere und sogar die Touristen.«
»Bei dir klingt das alles so endgültig«, sage ich. »Ich muss zugeben, dass ich Veränderung nicht mag.«
»Das lässt sich nicht rückgängig machen«, sagt er und zieht an seiner Zigarre. »Bei bestimmten Dingen kann man einfach nichts
tun. Außerdem könnte es eine Verbesserung sein. Sie haben von Ausbaggern gesprochen, aber das hätte überhaupt nichts genützt.
Als Monomoy vor einer Weile entzweibrach, haben alle total schwarz gesehen, weil unsere Jakobsmuscheln verschüttet wurden,
aber rat mal, was geschah? Stattdessen bekamen wir Sandklaffmuscheln, und für die wird man besser bezahlt als für Jakobsmuscheln.
Man muss sich der Strömung anpassen. Natürliche Wertsteigerung nennt man das. Dieser Strand hat sich umgeformt. Jetzt liegt
es an uns, damit zurechtzukommen. Was dich und mich betrifft, es wird Zeit, dass sich unsere Wege trennen«, sagt Hillary plötzlich.
»Ich bin so nahe ans Ufer gefahren, wie ich es wage. Also, Frau, raus mit dir.«
Ich steige die Leiter am Heck hinunter, möchte einen grazilen Abgang machen, aber sobald das Wasser an meine nackten Waden
schlägt, nimmt mir die Kälte den Atem.
»Mist«, keuche ich, dann bin ich vom Boot weg und
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