Zurück ans Meer
Arbeit beruhigend, ein frühmorgendliches Ritual, das sich nicht vom Ausräumen einer Spülmaschine unterschied,während der Kaffee durchläuft. Fischen ist jedoch wie jeder andere Beruf harte Arbeit. Jetzt erfahre ich, wie viel Hillarys
Haufen wiegt, wie rutschig jedes Stück sein kann und wie viel Arbeit damit verbunden ist, überhaupt auszulaufen. Ich unterdrücke
meinen Wunsch, an Bord zu springen und reiche ihm pflichtschuldig seine diversen Eimer, Harken, Jutesäcke, Plastikkisten und
zwei Benzinkanister.
Bald darauf legen wir vom Kai ab, und ich kauere mich in den Windschatten eines Ruderhauses, das so klein ist, dass außer
Steuerrad, Kompass und Radarkasten nichts mehr reinpasst. Hillary lenkt das Boot geschickt um die anderen herum, die den Hafen
verstopfen, und hält dann auf zwei rote Kanister zu, die den Tiefwasserkanal markieren. Mich ins Offene hinauszuwagen, wo
vieles völlig unvertraut ist, wirkt auf mich immer wie ein Wundermittel. Nur Robin weiß, wo ich bin, und selbst ihm konnte
ich kein genaues Ziel angeben.
»Ist es für dich nur ein ganz normaler Arbeitstag?«, frage ich, weil mir auffällt, dass sich in Hillarys Gesicht dieselbe
Erwartung und Befriedigung abzeichnen, die ich empfinde. »Oder geht es darum, fortzukommen?«
»Genau«, murmelt er, die Stimme gedämpft durch die Zigarre in seinem Mundwinkel. »Ich grabe seit dreißig Jahren nach Muscheln
– mir gefällt es, da draußen allein zu sein. Außerdem ist die Fahrt jedes Mal wunderschön. Das macht mich glücklich, am Leben
zu sein. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aufrechterhalten kann. Mein neuer Motor wird mich vermutlich überleben«, sagt
er und lacht leise über seinen sarkastischen Humor.
Sobald wir aus dem Kanal heraus sind, fühle ich mich ganz wie die Ausreißerin – wieder mal –, wie jemand, der gerade seine Wochenendgäste losgeworden ist und endlich einen Tag für sich allein hat. Er gibt Vollgas,
und wir fliegen dahin, der Bug hebt sich aus dem Wasser, und dann schlagen wir wieder auf den Wellen auf und drängen durch
den Zusammenflussder Strömungen zum offenen Meer. In dem Moment rollt meine Wasserflasche vom improvisierten Armaturenbrett und weiter zum
Heck.
»Jag ihr nicht nach«, warnt mich Hillary über das Dröhnen des Motors hinweg. »Halt dich einfach fest und pass auf dich auf.«
Was für eine neuartige Idee. Wenn ich jetzt losließe, würde ich rückwärts auf seinen 115-P S-Motor fallen oder, schlimmer noch, über Bord gehen. Daher nehme ich, trotz meines Widerspruchsgeistes, seinen Rat gerne an.
»Warum willst du in dieser Jahreszeit rausfahren?«, brüllt er. »Ich bekomme mitten im Winter nicht jeden Tag Anrufe von einer
Frau, die an einem kargen Strand abgesetzt werden will.«
»Heute ist mein Jahrestag«, erwidere ich und ziehe mir die Wollmütze über die Ohren.
»Wo ist dein Mann?«
»Nicht die Art von Jahrestag. Es ist jetzt zehn Jahre her, seit ich aufs Cape gezogen bin. Ich dachte, ich sollte an den ersten
Strand fahren, an dem ich gewesen bin. Ich bin eine dieser Verrückten, die gerne aus allem Rituale macht. Außerdem bin ich
neugierig auf die neue Landbrücke – klang faszinierend, was da über den Sand zu lesen war, der den Meeresarm abgewürgt hat.«
Wir fahren jetzt im Zickzack, schlingern in großen Halbbögen, schlängeln uns in und um zahllose neu gebildete Untiefen und
Sandbänke.
»Kein gerader Weg, der hinausführt«, bemerke ich.
»Nee. Jede Fahrt ist ein bisschen anders. Macht die Sache interessant, vor allem bei Ebbe, wenn sich der Meeresspiegel verändert.«
Bei dem Wort Ebbe spitze ich die Ohren. Ist es nicht das, wo ich mich in meinem Leben gerade jetzt befinde – weder hier noch
da, aber erneut an einem Scheideweg? »Wie würdest du die Ebbe definieren?«, frage ich ihn.
»Als eine Pause – die Mitte der Dinge – keine sichtbare Bewegung in irgendeine Richtung. Die Ebbe ist der Moment, in dem frisches
Meerwasser hereinfließt oder brackiges Wasser hinausgespült wird – eine Art Reinigungszeit.«
Ebbe und Flut … Ebbe und Flut. Tief atme ich die salzige, feuchte Luft ein und schaue dann nach hinten, betrachte die vom Motor aufgeworfene
Heckwelle, bevor Hillary auch schon das Tempo drosselt. »Ich muss dich auf der anderen Seite von Monomoy einsammeln«, sagt
er. »Das Wasser fällt rasch. Ich hoffe, das ist für dich in Ordnung?«
»Kein Problem«, erwidere ich mutig, wenn auch plötzlich etwas
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