Zurück ans Meer
uns bewegen. Robin liest Zeitung, spielt eine Runde Golf, jammert über unsere
Finanzen und werkelt auf dem Grundstück herum. Gegen sechs Uhr abends ist er bereit für einen Drink. Ich dagegen erwache vor
Sonnenaufgang, um ein paar ruhige Stunden zum Schreiben zu haben, mache rasch einen Spaziergang und danach Besorgungen, schaue
bei meiner Mutter vorbei und verbringe den späteren Teil des Tages damit, Anrufe zu beantworten. Um sechs Uhr bin ich bereit
für die Dusche, ein Sandwich und dann ab ins Bett. Oft schaffen wir es abends, an den Strand zu gehen, und am Nachmittag begleitet
mich Robin häufig bei meinen Besorgungen in der Stadt. Aber die Augenblicke, in denen wir das Gefühl haben, zusammenzuarbeiten,
auf ein gemeinsames Ziel zuzusteuern, sind selten. An und für sich erzeugt die Tatsache, dass wir uns in unterschiedlichen
Rhythmen bewegen, nicht allzu viel Spannung. Doch der Unterschied zwischen der Art, wie wir leben, und der Art, wie wir im
Ruhestand zu leben gedachten, ist gewaltig.
Eine Nonne, die ich vor Kurzem kennenlernte, erriet genau, was mich an der Beziehung so sehr quält. »Ich wollte etwas erwähnen,
was mir in Ihrem Buch aufgefallen ist«, sagte sie, »es ist dort nur angedeutet, aber von großer Tragweite.« Das weckte sofort
meine Aufmerksamkeit. »Es entspricht dermenschlichen Natur, zwei Dinge gleichzeitig zu wollen – allein zu sein und in einer Beziehung zu leben. Dieses Ziehen scheint
allem, was Sie schreiben, innezuwohnen.«
Damit traf sie das Dilemma, mit dem ich täglich lebe, genau auf den Punkt. Mir scheint, als sei es bei all dieser Seelenerforschung,
die ich zum Zeitpunkt meiner Lebensmitte betrieben habe, darum gegangen, mich kennenzulernen und ein für alle Mal ehrlich
mit mir zu sein. Nun ja, wenn ich ehrlich sein soll über meine Beziehung zu Robin, muss ich sagen, dass ich mich größtenteils
in ihr versteckt habe.
Ich gebe vor, seit Langem ein Stadium erreicht zu haben, in dem wir den anderen zur Unabhängigkeit ermutigen, doch ich erkenne
allmählich, dass ich meine Arbeit benutzt habe, um irgendwie Abstand von ihm zu halten. Ich liebe meinen Mann und unsere Ehe,
aber als er sich zur Ruhe setzte und nach Cape Cod zog, nur ein Jahr, nachdem ich fortgegangen war, brauchte ich nach wie
vor die Sicherheit, mein eigenes Leben zu haben – mein Leben, unabhängig von meiner Rolle als Joan Anderson Wilkins, Robins
Frau. Darüber hinaus war ich vor Angst erstarrt, dass Ruhestand bedeuten könnte, ihm in eine Rentnersiedlung in Florida oder
Arizona folgen zu müssen. Daher stürzte ich mich in meine Arbeit, zum Teil, um mich zu schützen. Das war ziemlich leicht –
schließlich war die Arbeit vorhanden. Außerdem war ich schon immer derselben Meinung wie Khalil Gibran, der in
Der Prophet
schreibt: »Lasst Raum in eurem Zusammensein, und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen … Füllt den Becher des anderen, aber trinkt nicht aus demselben Becher … Singt und tanzt und seid fröhlich miteinander, aber lasst einander auch allein.«
Bei den meisten langjährigen Beziehungen gibt es, wie im Meer, Ebbe und Flut; die Partner benötigen Zeit, voneinander getrennt
zu sein, und Zeit zur Wiederverbindung. Wenn man die Intensität einer Beziehung anschwellen und abebbenlässt, verwandelt sich romantische Liebe in etwas Behaglicheres und Herzerwärmenderes – eine langsam wachsende Zuneigung,
die sowohl eine starke und interessante Kameradschaft als auch Loyalität einschließt, die in einer Welt, die einen isoliert,
Unterstützung gewährt. Aber das Abebben ist nicht immer so leicht zu handhaben wie das Anschwellen.
Vor Kurzem kehrte ich von einem Frauenwochenende zurück, bei dem ich mich von den Teilnehmerinnen sehr geschätzt gefühlt hatte.
Sie waren engagiert und brachten viel Energie in die Workshops ein. Im Gegensatz dazu blickte Robin kaum vom Fernseher auf,
um mich zu begrüßen, seine Stimmung war äußerst gedrückt, ohne Wärme oder Interesse dafür, wo ich gewesen war.
Enttäuscht, regelrecht gekränkt, aber zu müde, Streit anzufangen, ging ich direkt nach oben, um mich umzuziehen. Das Bett
war ungemacht, benutzte Handtücher lagen auf dem Badezimmerboden, und ein Haufen schmutziger Wäsche wartete darauf, gewaschen
zu werden. Warum, fragte ich mich, ist er so offensichtlich gedankenlos und gleichgültig? Vielleicht liegt es einfach daran,
dass ich
ihm
so wenig gegeben habe. Wenn ich meiner Ehe
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