Zurück ans Meer
Erinnerungen mit dem
Haus, doch es war Zeit füruns, weiterzuziehen und ein neues Leben in einem anderen Zuhause zu beginnen.
Nun, während der Bestandsaufnahme meiner letzten zehn Jahre, denke ich darüber nach, was sich in meinem heutigen Leben überlebt
hat. Seit einiger Zeit weiß ich, dass alles zerstört wird, wenn man daran festhält – alte Methoden, überholte Ideale, ausgelaugte
Beziehungen und Lebensstile, die unzeitgemäß geworden sind. Unsere Kultur scheint Beständigkeit zu schätzen. Sicherlich ist
das Vertraute tröstlich. Aber das, was wir waren, entspricht nicht dem, was wir sind, und warum sollte ich mich immer noch
an diese Teile meines Lebens klammern wollen, die ihren Reiz verloren haben? Vielleicht war ich unter anderem so erpicht darauf,
heute hierherzukommen, weil ich tatsächlich Zeugin massiver Veränderung werden wollte. Niemand von uns kann den Lauf des Lebens
steuern; wir können uns nur anpassen.
Erwärmt von den wenigen glühenden Mutfunken, die aus meinen Gedanken aufzuflackern scheinen, nehme ich den letzten Schluck
Kaffee, hänge den Rucksack wieder um und krieche aus dem Unterschlupf, bereit, am »Ufer des dröhnenden Meeres« entlangzugehen,
wie Thoreau sagte, »entschlos sen , es in mich aufzunehmen«. Immer wieder rufe ich mir diesen alten, getreuen Ausspruch in Erinnerung. Allein durch den Aufbruch
lässt sich immer etwas Größeres, Besseres, Lebensbejahenderes finden. Auf dieser Reise geht es nicht nur darum, in der Welt
voranzukommen, sondern die Stadien des Begreifens zu durchwandern.
Das ständige, melodische Klagen des Wintermeeres zieht mich zur Atlantikseite, und bald stoße ich auf ein einsames Dory, das
halb im Sand versunken ist. Einst in lebhaftem Königsblau gestrichen, ist die Farbe jetzt verblichen, rissig und abgeblättert,
der Schiffskörper ist voller Regenwasser, einer der Sitze ist zerbrochen. Dieses Gefährt ist nicht mehr seetüchtig – es ist
ein Boot, dessen Zeit abgelaufen ist. Ich stellemir vor, dass es immer wieder leckgeschlagen ist und der Besitzer die Lecks einfach kalfatert hat, bis das Dory nicht mehr
zu retten war.
Unwillkürlich vergleiche ich dieses kleine Boot mit meiner Mutter, die ausgelaugt und müde ist, nicht mehr das lebhafte Gefährt
sein kann, das sie einmal war. Und wie der Besitzer des Dorys bin ich mit der Tatsache konfrontiert, dass nur noch sehr wenige
Reparaturen etwas bewirken werden. »Jetzt liegt es an Grandma«, sagte mein jüngerer Sohn Luke, nachdem er sie im Krankenhaus
besucht hatte. Er wusste, dass ihre Krankheit nicht tödlich verlaufen würde, doch konnte er sehen, wie erschöpft sie war.
Niemand konnte sie wieder gesund machen, außer sie selbst. Entweder wollte sie leben oder nicht.
Während ich weitergrüble, habe ich das Gefühl, mit meiner Mutter im selben Meer zu schwimmen – sie hält sich an mir fest,
aber mir geht die Energie aus, uns beide über Wasser zu halten. Ich habe die Kraft, mich allein in Sicherheit zu bringen,
aber sie hat diese Kraft nicht. Wenn ich untergehe, dann versinken wir beide. Daher ist die Entscheidung offensichtlich, wenn
auch äußerst quälend. Ich könnte sie nie allein lassen, wie jemand es mit dem Dory gemacht hat, doch ich weiß, dass mir ein
Leben zusteht, das sie nicht immer einschließt. Genau wie der Besitzer dieses Bootes zu der Einsicht kam, dass er es nicht
mehr länger streichen, kalfatern und aus dem Sand graben konnte, um es seetüchtig zu machen, erkenne ich, dass ich den Geist,
den Willen, die Entschlossenheit und Agilität meiner Mutter nicht wiederherstellen kann. Sie möchte vom Alter befreit werden,
und das kann ich ihr nicht geben.
Fest entschlossen und zugleich schweren Herzens gehe ich auf die inzwischen berühmte Landbrücke zu und bleibe kurz stehen,
um eine Herde Seehunde zu beobachten, die auf einer Sandbank ziemlich weit vom Ufer entfernt lagert – zufriedenund vollkommen sicher vor Menschen und Bootsverkehr. Sie erinnern mich an meine Jungs, die durchaus glücklich mit ihrer Entfernung
von Cape Cod zu sein scheinen, der eine im Westen, der andere in Illinois. Ich glaube, sie genießen ihre Unabhängigkeit und
die Wahlmöglichkeit, nur dann Verbindung mit Robin und mir aufzunehmen, wenn es ihnen passt. In zynischer oder trauriger Stimmung
würde ich sie als hochnäsig bezeichnen, genau wie die Seehunde, die necken und verzaubern, aber völlig unabhängig bleiben.
Hier draußen, wo ich
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