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Zurück ans Meer

Titel: Zurück ans Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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so offensichtlich
     verschlafenen Nest anfangen? Ich beschließe, mir Rat bei einer freundlich wirkenden Frau zu holen, die an einem Stand ein
     paar Meter von der Fähre entfernt arbeitet.
    »Aye, Sie wollen nach Iona?«, fragt sie in so starkem Dialekt, dass ich kaum ein Wort verstehe.
    Ich nicke zustimmend.
    »Tut mir leid. Da kaum jemand um diese Jahreszeit nach Iona will, fährt der Bus nur einmal, höchstens zweimal am Tag. Und
     warum wollen Sie da hin, wenn Sie die Frage erlauben?« Sie kann ihre Neugier nicht verbergen.
    »Um zu schreiben«, antworte ich. »Ich bin Schriftstellerin.«
    »Was Sie nicht sagen«, meint sie. Offensichtlich besteht ihre tägliche Unterhaltung aus Gesprächen mit den Touristen, die
     an ihren Stand kommen, um Postkarten, Wanderkarten und lokale Spezialitäten zu kaufen. »Auf Iona werden Sie Magie finden«,
     sagt sie.
    Obwohl ich nicht unbedingt nach Magie suchte, hatte ich wohl insgeheim auf irgendein Zeichen gehofft, dass ich in der richtigen
     Richtung unterwegs bin. »Können Sie mir denn sagen, ob es noch eine andere Möglichkeit gibt, nach Fionnphort zu kommen?«
    »Ich kann Iain McGinnis anrufen, wenn Sie wollen. Er hat einen Taxiservice. Könnte Sie allerdings mehr als einen Ha’penny
     kosten«, witzelt sie. »Ich lauf schnell zu meinem Haus und ruf ihn an. Würden Sie solange auf den Stand aufpassen?«
    Ich trete auf die andere Seite ihres kleinen Unterstandes und warte auf Kunden, während ich der Fähre nachblicke, die jetzt
     dorthin zurückkehren wird, woher sie gekommen ist. Als sie vom Kai ablegt, empfinde ich Frieden – oder ist es Freiheit? –
     darüber, dass ich allein bin und niemand mein Denken oder Handeln stören kann. Ein guter Anfang für eine Pilgerreise, denke
     ich.
    »Er wird gleich da sein«, verkündet meine neue Freundin ein paar Minuten später, stolz darauf, dass sie mein Problem so leicht
     lösen konnte. »Nehmen Sie sich eine Fleischpastete – ich lade Sie ein.«
    Ich entscheide mich für eine Füllung aus Schweinehack und Zwiebeln und lasse mir die Pastete, die eine sehr leckere Kruste
     hat, schmecken, bis Augenblicke später ein winziger gelber Citroën vorfährt, aus dem Iain McGinnis aussteigt – ein rothaariger,
     strammer junger Mann in wollenen Knickerbockers und einem sehr abgetragen wirkenden Tweedjackett.Er tippt sich an die fadenscheinige Mütze, schüttelt mir die Hand und lädt mein Gepäck in den Kofferraum. Ohne mich richtig
     von meiner neuen Freundin verabschieden zu können, sausen wir los, fahren schneller, als ich es mir je auf einer einspurigen
     Straße mit Gegenverkehr hätte vorstellen können.
    »Auf dem Weg nach Iona?«, fragt er. »Werden Sie in der Abtei arbeiten?«
    »Nein, ich will nur dorthin, um mich zu entspannen.«
    »Da haben Sie sich einen guten Ort ausgesucht«, sagt er. »Es gibt nur etwa fünfzig Häuser, ein Hotel und ein gut besuchtes
     Pub – bleibt einem nicht viel anderes übrig, als hart zu arbeiten und am Ende des Tages ein oder zwei Gläser zu trinken.«
    »Tatsächlich«, sage ich und frage mich, wie ich wohl drei Wochen in solcher Isolation überstehen werde.
    »Sie nennen es I’shona – das ist Gälisch für gesegnete oder spirituelle Insel.«
    »Tja, das klingt gut. Ich suche nach etwas Spirituellem – nur weiß ich nicht genau, wonach.«
    »Aye. Am besten gehen Sie hinüber nach Westen zu den Steinen – der Strand ist voll davon. Sie müssen sie nur berühren, und
     Sie werden etwas spüren. Man sagt, das sei die Energie der Erde, eine Art magnetische Kraft.« Seine ruhige Überzeugung ist
     betörend.
    »Nun ja, die Frau in Craignure sagte mir, auf Iona sei Magie. Vielleicht hat sie das damit gemeint?«
    »Es gibt starke Energiepunkte«, erklärt er. »Ich bin auf der Insel gewandert. Wenn Sie nach Antworten suchen, werden Sie die
     in den Mooren finden. Nicht nur in den Steinen, sondern auch in der Luft. Ich glaube, die Druiden haben ihre Weisheit zurückgelassen
     – geflüsterte Anweisungen, sagt man.«
    »Sie wissen aber viel«, sage ich.
    »Bin dort geboren und aufgewachsen. Ich hab nicht viel für das Festland übrig.«
    Ich finde seine Genügsamkeit seltsam für einen so jungen Menschen, da ich bisher nur zwei Frühstückspensionen, grasende Schafe
     und sonst gar nichts entdecken konnte. Wir halten kurz am Straßenrand, um einen Bus vorbeizulassen, und als wir weiterfahren,
     frage ich ihn, wie spät es ist.
    »Viertel vor zwölf. Wir haben eine echte Chance, die Fähre

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