Zurück ans Meer
Anderson-Tartan.
Wenngleich Mrs MacDonald und ich nie darüber gesprochen hatten, dass ich während meines Aufenthalts hier schreiben würde,
war ein alter Kiefernholzschreibtisch vor ein rundes,an ein Bullauge erinnerndes Fenster gerückt worden. Sie hatte eine alte Blechdose mit frisch gespitzten Bleistiften gefüllt,
mehrere Schreibblocks auf den Tisch gelegt, dazu einen Füllhalter mit Tintenfass, außerdem noch zahllose Werke von Keats und
Wordsworth. Ich hatte das Gefühl, wenigstens ein Gedicht oder eine Kurzgeschichte zustande bringen zu müssen, solange ich
hier war. »Willkommen Joan«, stand auf einem Zettel. »Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Iona Ihnen die Muse bereitstellt,
die Sie brauchen, um zu erschaffen, was Ihnen bestimmt ist, während Sie auf dieser mystischen Insel weilen. Herzlichst Mary
MacDonald.«
Trotzdem war es zunächst belebend, an einem so neuen und fremdartigen Ort zu sein, bis mir klar wurde, dass da niemand war,
der mir den Weg zeigen würde. Ich hatte keinen offiziellen Reiseführer erwartet, der mich auf interessante Punkte und ausgeschilderte
Pfade hinwies, hatte jedoch zumindest auf einen Vorschlag oder zwei in Mrs MacDonalds Begrüßungsschreiben gehofft. Der einzige
Hinweis, den ich finden konnte, stand auf einem keltischen Wunsch, der an der Wand nahe der Tür hing, und ich übernahm ihn
rasch als meine erste Anleitung.
Die Nahrung der Erde sei die deine,
die Klarheit des Lichts sei die deine,
das Auf und Ab des Meeres sei das deine,
der Schutz der Vorfahren sei der deine.
Nachdem nun die anfängliche Euphorie verflogen ist, muss ich herausfinden, wie ich in mein Inneres komme. Es heißt, Iona sei
ein Geisteszustand, in den man allmählich hineingleitet, und ich hoffe, dass das zutrifft. Ich bin mir durchaus bewusst, dass
spirituelle Wahrheiten schwer zu erlangen sind, und dass Erleuchtung einer längeren Zeit in echter Einsamkeit bedarf, aber
mir bleiben nur noch zweieinhalb Wochen.Außerdem fällt mir tiefgründiges Schweigen nicht leicht, obgleich ich davon überzeugt bin, dass mir Weisheit eher zufallen
würde, wenn es mir nur gelänge, den Mund zu halten. Zu oft unterbreche ich bei Gesprächen den Redenden. Was nicht daran liegt,
dass mir das, was er oder sie sagt, nicht gefällt, sondern weil ich von der Energie der Unterhaltung selbst davongetragen
werde. Aber ich weiß, dass ich jedes Mal, wenn ich mich einmische und meine Gedanken denen eines anderen überstülpe, das total
verändert und möglicherweise verwässert habe, was der Redende mir zu sagen versuchte. Daher bleibt Schweigen eine meiner großen
Herausforderungen.
Den Buddhisten zufolge liegt das Ziel einer Pilgerfahrt darin, vollkommen in der Gegenwart zu sein – eine gute Idee, doch
eine weitere Schwierigkeit für eine Frau, die zu Tagträumen über die Zukunft neigt, weil sie unmittelbare Antworten auf ihre
Fragen bekommen möchte. Ich spüre, dass man das Verweilen in der Gegenwart nur durch Untätigkeit erreicht, noch eine Herausforderung,
da ich es vorziehe, in Bewegung zu sein. Also sitze ich hier, blicke aus dem Fenster, sehe die Fähre an- und ablegen, versuche
meine Gedanken aufzuzeichnen, die nicht kommen, und wenn alles andere versagt, gehe ich in das Pub an der Straße – ein öffentlicher
Ort und der einzige, an dem ich mich willkommen fühle.
Gleichwohl gelobe ich mir, dass sich dieser Tag von den vergangenen drei abheben muss. Auch wenn die Sonne sich nicht entscheiden
kann, ob sie die Insel erhellen oder hinter den drohenden Wolken bleiben will, bin ich entschlossen, meine Suche ernsthaft
in Angriff zu nehmen.
Ich schaue nach der Uhr, doch dann fällt mir ein, dass es hier keine gibt – auch kein Radio und keine Zeitung. Noch so etwas,
das befremdlich ist für eine vom Festland, deren Leben sich danach richtet, zu wissen, wie spät es ist, pünktlich zu sein,
genug Zeit zu haben und natürlich – der Dämon aller Typ- A-Persönlichkeiten – sicher zu sein, das meiste ausihrer Zeit herauszuholen. Hier weiß ich nur, dass die Sonne aufgegangen ist, die erste Fähre an- und wieder abgelegt hat,
und wenn ich mich beeile, könnte ich es wohl zum Acht-Uhr-Gottesdienst in der Abtei schaffen. Also trete ich in den stürmischen
Wind hinaus, den Schal um den Hals geschlungen, die Wollmütze bis fast über die Augen hinabgezogen, und eile die Hauptstraße
entlang, während die große Glocke gerade zu läuten beginnt.
»Suchet,
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