Zurück ans Meer
zu erwischen, wenn es das ist, was Sie wissen wollten.« Er tritt
aufs Gas und erhöht das Tempo, bremst hin und wieder, weil Kühe die Straße überqueren oder ein Schaf seine Lämmer zur Seite
stupst. Bald biegen wir um eine große Kurve mit Blick auf einen winzigen Hafen, und ich entdecke die Fähre, auf die bereits
Autos rollen, kurz dahinter folgen Fußgänger. Mit kreischenden Bremsen halten wir neben der Gangway, und nachdem ich ihm dreißig
Pfund in die Hand gedrückt habe, laufe ich los, der letzte Passagier, der an Bord geht.
»Da haben Sie noch mal Glück gehabt, Lady«, teilt mir der Fährmann mit. »Das ist die letzte Fahrt heute. Wird wohl eine raue
Überfahrt werden. Am besten, Sie suchen sich einen Sitzplatz.«
Ich hocke mich in die nächste Kabine, während das kleine, aber robuste Fährschiff sofort zu stampfen und schlingern beginnt.
Gegen seinen Rat und aus Angst, seekrank zu werden, begebe ich mich in die frische Luft an Deck, während die kleine Fähre
gegen die starke Strömung ankämpft. Wellen krachen über den Rumpf, und ich umklammere mit aller Kraft die Reling. Die Fahrt,
die fünfzehn Minuten dauern soll, wird bei dieser stürmischen See doppelt so lange dauern. Wir müssen gegen die Tide steuern,
um uns rückwärts zum Kai treiben zu lassen.
Die salzige Gischt durchnässt mich, doch das ist mir egal – meine Vorfreude wiegt Nässe und Unbequemlichkeit auf. Und dann
höre ich die Ansage: »Die Fähre wird der Strömung am Kai nicht länger als zwei Minuten standhalten können. Sie sollten Ihr
Gepäck einsammeln, aufs Unterdeck kommen undsich bereit machen, augenblicklich von Bord zu gehen. Achten Sie darauf, wohin Sie treten, der Kai könnte sehr rutschig sein.«
Ich gehe zur Treppe, die nicht mehr als eine Leiter ist, und zurück nach unten, bereit, von Bord zu springen. Gleich darauf
mahlen die Maschinen, sobald der Kapitän den Motor in den Leerlauf schaltet, und dann sehe ich, wie die Gangway in die wogende
See hinabgelassen wird. Ich renne, pflüge mich durch kniehohes Meerwasser, mein Koffer, meine Leggins und Wanderstiefel, alles
ist durchnässt, aber egal – ich bin auf Iona. Während die Fähre ablegt, komme ich mir weder orientierungslos noch verlassen
vor, sondern fühle mich seltsam zu Hause, obwohl niemand zu meiner Begrüßung erschienen ist. Ich steuere das einzige Hotel
der Insel an, ein anspruchsloses Drei-Sterne-Etablissement, das eine schmale Kopfsteinstraße hinunter nur fünfhundert Schritt
entfernt liegt. Direkt hinter der Tür des Hotels Argyll befindet sich eine Garderobe voller Regenjacken, ein Ständer mit Schirmen
und Wanderstöcken und daneben, auf einem Tisch mit Gästebuch und einigen Broschüren, thront ein wunderschöner, handgeschnitzter
Seehund. Er lächelt mich an – exakt das Geschöpf, das mich so viel gelehrt, das mir vor zehn Jahren zu Beginn meiner Reise
Hinweise gegeben hat.
Ich lasse meinen Rucksack und Koffer stehen und trete an den Empfangstresen, auf dem sich eine Klingel befindet. Daneben klebt
ein Zettel mit der Aufschrift »Laut klingeln« – genau dieselben Worte, die Joan Erikson für Besucher an ihrer Klingel angebracht
hatte. Ich bin sprachlos über diese glückliche Fügung, zuerst auf den Seehund und dann auf das hier zu stoßen. Gleich darauf
erscheint Daniel, der Besitzer. »Heute habe ich niemanden mit der Fähre erwartet«, sagt er. »Sind Sie darauf vorbereitet,
ein paar Monate zu bleiben?«, witzelt er. »Sie könnten hier für immer gestrandet sein.«
»Eigentlich steht mir hier ein Haus zur Verfügung, einStück die Straße hinunter, glaube ich. Eine Mrs MacDonald hat den Schlüssel bei Ihnen hinterlegt.«
»Oh, dann müssen Sie die Amerikanerin sein«, sagt er.
»Die bin ich«, erwidere ich. »Kann man in Ihrem Hotel auch zu Abend essen, wenn man kein Gast ist?«
»Selbstverständlich«, sagt er und setzt meinen Namen gleich für eine Woche auf die Reservierungsliste. »Hätten Sie gerne einen
Tee, bis dieser schreckliche Regen nachlässt?«, fragt er.
»Das wäre wunderbar.« Ich nehme auf einem Sessel an einem mit Torf und Kohle beheizten Kaminfeuer Platz. Ich hatte mir bereits
einen Plan zurechtgelegt, wollte sofort mit der Abtei anfangen und dann nach Norden zu einem Strand wandern, der für seine
Heilwirkung bekannt ist. Aber das Wetter wird es nicht zulassen, also mache ich es mir auf dem Sessel bequem und schaue zu,
wie das Hotelpersonal hin und her
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