Zurück ans Meer
und ihr werdet finden«, heißt es in der Bibel, und daran halte ich mich, lege die knappe Meile zurück, um Zuflucht
in der zugigen Steinkirche zu suchen, die sowohl ein historisches als auch friedvolles Gefühl vermittelt. Ich hocke mich in
die allerletzte Reihe, betrachte die flackernden Kerzen in den hohen, schmiedeeisernen Kerzenständern, die im Mittelschiff
verteilt stehen. Die karge Umgebung hat etwas Majestätisches – als schwebte tatsächlich eine Gottheit in den Dachsparren,
zusammen mit dem Wind und den gurrenden Tauben. Ich hole tief Luft, dann noch mal, denn ich weiß, dass das englische Wort
spirit
– Geist – vom lateinischen
spirare
abgeleitet ist, was »atmen« bedeutet.
Obwohl ich hier vom Weltlichen abgelenkt werde, bewegt mich der Gottesdienst nicht sonderlich – heute hält ihn ein Engländer
ab, der einen strengen Tonfall hat. Doch die Teile der Messe, die gesungen, nicht gesprochen werden, dringen in die fernsten
Winkel meiner Empfindsamkeit, und ich tauche zum ersten Mal in die Möglichkeiten Ionas ein. Endlich fühle ich mich »aufgenommen«
und gesegnet, dass diese Abtei wenigstens einen Zufluchtsort bietet – den Anfang oder zumindest die Hoffnung auf etwas Überweltlicheres,
das noch folgt.
Nachdem der kurze Gottesdienst beendet ist, scheinen die Gemeindemitglieder es eilig zu haben, ihr Tagwerk fortzusetzen. Mit
geschlossenen Augen bleibe ich auf meiner Bank sitzen, warte darauf, dass sich das Kirchenschiff leert und fragemich, was die Abtei außer den Gottesdiensten zu bieten hat. Ich habe meinen Geist zur Ruhe gebracht und mein Herz geöffnet,
warum sollte ich nicht für das offen bleiben, was als Nächstes geschieht? Während sich die Kirche leert, lausche ich dem Wind,
sogar dem Meer, und starre dabei auf eine einsam flackernde Kerze. Die Elemente arbeiten zusammen, finden einen gemeinsamen
Rhythmus, und ich werde hineingezogen – halte nun meinen eigenen Gottesdienst ab –, mein Geist ist beschäftigt, während ich im Gleichklang mit Wind und Meer atme. Mir wird bewusst, dass ich von allen vier
Elementen gehalten werde. Die mit Weihrauchduft erfüllte Luft durchdringt mich, die aus der Erde gebrochenen Steinwände bilden
jetzt eine Kapsel, das über das Taufbecken tröpfelnde Wasser beruhigt, und die Flammen der Kerzen bieten Wärme. Meine Seele
weitet sich, und ich versinke in einen zeitlosen Zustand.
Nach einer Weile erhebe ich mich und mache einen Erkundungsrundgang – nähere mich dem Altar, betrachte das aus dem berühmten
grünen Marmor von Iona gearbeitete Kreuz, amüsiere mich über die grünen Ranken, die sich durch die Steine gezwängt haben,
herabhängen und die Wände zu beiden Seiten des Chores schon fast bedecken. Und dann entdecke ich eine kleine Kapelle, genannt
die Ruhige Ecke. Sie schließt an das Kirchenschiff an, liegt aber sehr versteckt – bestens geeignet für alle, die einen Rückzugsort
suchen. Im Dämmerlicht sehe ich einen älteren Mann gebeugt in einer Ecke stehen, die Hände über einem Gehstock gefaltet. Rasch
schlüpfe ich in die nächste Bank und gebe vor, ihn nicht zu bemerken, blicke stattdessen aus den beiden Fenstern, die aufs
Meer hinausgehen, und schließe meine Augen.
Minuten später flüstert er: »Sie sind die Amerikanerin, nicht wahr?«
Verblüfft hebe ich den Kopf, ich wusste nicht, dass man meine Anwesenheit auf dieser Insel überhaupt bemerkt hatte.»Das bin ich«, bestätige ich leise. »Ich hoffe, Sie halten mir das nicht vor?«
Er lächelt, das freundlichste Lächeln, das mir seit meiner Ankunft geschenkt wurde.
»Haben Sie gefunden, wonach Sie suchen?«, fragt er.
»Wie bitte?«, erwidere ich verdutzt. »Ich fürchte, ich habe mir zu viel vorgenommen«, flüstere ich, »und versuche in zu kurzer
Zeit zu viel aus Ihrer Insel herauszuholen.«
»Seien Sie einfach ganz still«, sagt er, »wo immer Sie sind. Iona ist kein Utopia – so etwas gibt es nicht. Es ist alles hier«,
sagt er und deutet auf sein Herz. Und mit dieser unverlangten Weisheit geht er zur Orgel, entfernt die Abdeckung, öffnet den
Deckel und beginnt zu spielen. Diesen Klang hatte ich mir gewünscht – eine große Orgel, die diesen Raum ausfüllt, der in seiner
Akustik sicherlich für gesungene Abendmessen und liturgische Instrumente geschaffen wurde. Ich lehne den Kopf zurück und höre
zu, während er Bachs Fuge in d-Moll spielt, ohne auf irgendwelche Noten zu schauen. Daran schließt er mehrere
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