Zurück in Virgin River (German Edition)
würde, wenn er sähe, wie seine Leute noch weiter verletzt würden? „Sie sind der nervigste Schwachkopf, den ich kenne“, sagte Rick zu Jerry.
„Es ist ein schmutziger Beruf“, erwiderte Jerry achselzuckend. „Und weil unsere Zeit für heute beinahe um ist, bitte ich Sie, bis zum nächsten Mal über Ihre Angst und Ihren Zorn, der nachvollziehbar, aber auch gefährlich zerstörerisch ist, nachzudenken. Wenn wir nächstes Mal herausfinden können, gegen wen sich diese Wut richtet, dann könnten wir vielleicht …“
„Ich weiß, gegen wen sich meine Scheißwut richtet!“ Rick brüllte beinahe. „Gegen alles, was in den letzten zwanzig Jahren passiert ist! Meine Eltern, meine Freundin, mein Baby, den Krieg!“
Jerry wartete einen Augenblick, bevor er etwas sagte. „Gegen sich selbst.“
„Nein!“ Rick wehrte sich vehement dagegen. „Nein!“
Jerry sah weder auf die Uhr noch unterbrach er den Blickkontakt, um die Stunde zu beenden. Schließlich stellte er Rick ganz leise eine Frage. „Haben Sie denn alle enttäuscht, Rick? Weil Sie verwundet wurden und nun gehbehindert sind?“ Ricks Blicke wanderten unruhig durch den Raum, als ob er die Antwort auf Jerrys Frage irgendwo oben an der Decke zu finden hoffte. „Wenn Ihnen das alles nicht passiert wäre“, fuhr Jerry fort, „wären Sie dann in der Lage, in Ihrem Leben wieder da anzuknüpfen, wo Sie vorher waren? Mit Ihrer Freundin und Ihren Freunden?“
„Sie sind total verrückt“, sagte Rick, aber die Tränen, die sich schon seit Längerem in seinen Augen gesammelt hatten, rannen ihm nun über die Wangen, und er wischte sie eilig weg.
„Lassen Sie sich von Ihrer Wut beherrschen, oder sind Sie derjenige, der die Wut beherrscht?“, wiederholte Jerry seine Frage von vorhin. „Sind Sie wütend auf sich, weil Sie verwundet wurden?“
„Das ist doch einfach bescheuert“, erwiderte Rick, aber diesmal klang sein Tonfall schon wesentlich ruhiger. Dann verbarg er das Gesicht in den Händen. Seine Schultern bebten. Es dauerte eine volle Minute, bevor er den Kopf hob und Jerry mit glasigen Augen ansah. „Akzeptieren Sie es doch endlich. Wenn das alles nie passiert wäre, wäre alles ganz anders. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich hatte vorher nur nie bemerkt, dass das alles nur meinetwegen so gekommen war, dass ich derjenige war, der …“ Und dann verbarg er das Gesicht erneut.
Jerry ließ ihn noch eine Weile so tun, als ob er nicht weinte, obwohl er total zusammengebrochen war. Er wusste, dass Rick niemals nach einem Papiertaschentuch greifen würde, weil ihn das verraten hätte. Ricks Schultern zitterten, doch Jerry erkannte, dass er sich immer noch bemühte, sich nicht gehen zu lassen.
Als Rick sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, begann Jerry zu sprechen. „Rick, es gibt da ein paar Dinge, die nichts mit Ihnen zu tun haben, und das müssen Sie irgendwann einmalakzeptieren. Erstens: Den Tod Ihrer Eltern hat ein betrunkener Autofahrer verschuldet. Ein kleines heißes Spermium und eine ganz bestimmte Eizelle trafen aufeinander und wurden zu Ihrem Baby. Die meisten Totgeburten haben keine erkennbaren Ursachen … das ist sehr tragisch, aber statistisch belegt. Und … jemand hat eine Granate geworfen, die Sie erwischte. Natürlich hätte alles anders kommen können, doch Sie hätten nichts unternehmen können, damit es anders kommt.“
„Was reden Sie da?“, fragte Rick und hob den Kopf.
„Es wird Ihnen nichts bringen, sich weiter für alles verantwortlich zu machen. Sie werden sich immer nur im Kreis drehen, denn Sie tragen keine Schuld daran. Sie haben ein paar harte Schläge abbekommen, aber es gibt auch Gutes in Ihrem Leben.“
„Ach ja, und das wäre?“
Jerry hielt Ricks Blick stand. „Oh, schauen wir mal. Eine Großmutter, eine tolle Frau, die ihr Leben, nach Ihren Aussagen, ganz nach Ihnen ausrichtet. Ein paar extrem gute Freunde, die Ihnen den Vater ersetzen, Sie unterstützen, Ihnen etwas beibrachten. Eine Freundin … es gibt nicht viele, die so früh eine Freundin finden, die sich so auf einen einlässt, wie Ihre Freundin es bei Ihnen getan hat. Und dann ereigneten sich ein paar traumatische Dinge, die …“
„Ich finde nicht, dass ich sie einfach so enttäuscht habe …“
„Was meinen Sie damit, Rick?“
„Ich dachte, die Marines wären gut für mich …“
„Vielleicht ist man gar nicht von Ihnen enttäuscht. Vielleicht haben Sie im Marine-Korps Dinge gelernt, die sehr wertvoll
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