Zurueck ins Glueck
brauchen nur noch zwei oder drei Mann, damit kommen wir hin.«
»Fünf Leute scheinen mir ein bisschen wenig für diese Masse Trauben zu sein«, gab Samantha zu bedenken.
Pablo sah sie an und lachte. »Stimmt, es ist viel Arbeit«, gestand er. Sie unterhielten sich eine Weile über die Pflege der Pflanzen und die Kunst des Weinkelterns, dann zeigte Pablo ihr seine letzte Rebsorte. »Das ist die Graciano«, erklärte er. »Wie du siehst, ist sie heller und dicker als die anderen.« Er schnitt ein paar dunkelrote Trauben ab. »Ich nenne sie die Mutter aller Reben, denn sie ist schon viel länger hier als ich.«
»Wie lange lebst du denn jetzt hier?«
»Seit über dreißig Jahren.«
Samanthas Herz machte einen Satz. Er lebt hier, seit er uns verlassen hat, erkannte sie mit einem Anflug von Wehmut, doch Pablo sprach schon weiter.
»Die Graciano produziert einen hellroten, leicht säuerlichen Most. Sie hat ein hervorragendes Bouquet; sie ist die aromatischste meiner Traubensorten.«
Doch Samanthas Gedanken kreisten um ganz andere Dinge als seine Ausführungen. Hier hatte also Pablo sein Leben verbracht, seit er aus Galway fortgegangen war. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich immer vorgestellt, er würde in der Welt oder zumindest in Spanien herumzigeunern, aber nein, er hatte hier, in diesem unglaublich friedlichen Teil der Welt gelebt und sich jahraus, jahrein um seine Reben gekümmert. Wie war es nur möglich, dass er den Pflanzen so viel Liebe geschenkt, aber für seine eigenen Kinder keinen Platz in seinem Herzen gehabt hatte, fragte sie sich schmerzlich berührt.
Was hatten die Reben, was sie, Samantha, nicht hatte? Oder war Pedros Mutter der Grund für Pablos Entfremdung von seiner irischen Familie? Im Haus gab es keine Fotos von ihr, sie hatte jedenfalls nirgendwo welche gesehen. Warum hatte Pablo Galway verlassen? Diese Frage stellte sie sich heute wohl zum hundertsten Mal.
Pablo schien ihre Gedanken gelesen zu haben, denn er legte ihr einen Arm um die Schulter, während sie nebeneinander hergingen.
»Ich weiß, dass du viele Fragen an mich hast, und ich werde sie dir so wahrheitsgetreu beantworten, wie es mir möglich ist. Aber mit solchen Fragen verhält es sich wie mit der Traubenlese – der richtige Zeitpunkt ist ausschlaggebend. Du kannst keine Fragen stellen, wenn du innerlich noch nicht dazu bereit bist, die Antworten zu akzeptieren, und du kannst keine Trauben ernten, wenn sie noch nicht reif sind.« Er blieb stehen und sah seine
Tochter an. »Lass der Zeit ihren Lauf, mi cosa guapa , und alles wird sich zum Guten wenden.«
Samantha blickte in seine schokoladebraunen Augen und nickte langsam, vermochte den Blickkontakt jedoch nicht aufrechtzuerhalten. Keine Frage, die sie stellte, keine Antwort, die er ihr gab, konnte etwas an der grausamen Wahrheit ändern. Sie hatte während der letzten zwei Jahre mit ihrem Halbbruder geschlafen, und dieser liebenswerte, gütige Mann, der vor ihr stand, war in keiner Weise mit ihr blutsverwandt, so sehr sie sich dies jetzt auch wünschte. Nein, erkannte sie verzagt, ihr konnte niemand helfen, schon gar nicht Pablo.
25. Kapitel
A n diesem Abend herrschte in der Casa Garcia eine entspannte, friedliche Atmosphäre, die Balsam für Samanthas Seele war. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Pablo weder ein Radio noch einen Fernseher besaß. Der Tag war wie im Flug vergangen, obwohl sie nichts anderes getan hatte, als durch die Reben zu spazieren. Erst als ihre Beine zu schmerzen begonnen hatten, war ihr klar geworden, dass sie eine weit längere Strecke zurückgelegt hatte, als sie gedacht hatte.
»Hast du denn nie mit dem Gedanken gespielt, dir einen Fernseher anzuschaffen?«, fragte sie Pablo neugierig. »Allein wegen der Nachrichten zum Beispiel.«
»Ich brauche keinen Fernseher, ich verbringe den größten Teil meiner Zeit draußen bei den Reben«, erwiderte er. »Und wenn sie im Winter schlafen, tue ich das Gleiche.«
»Du kannst doch nicht den ganzen Winter verschlafen«, widersprach Samantha.
»Das stimmt. Aber ich lese viel oder treffe mich mit meinen Freunden in Haro. Dann sitzen wir lange zusammen und sprechen von den alten Zeiten«, erklärte er mit einem wehmütigen Lächeln.
Am Abend war es merklich kühler geworden, und nach dem Essen bat Pablo sie, Feuer im Kamin zu machen. Sie setzten sich mit einer Flasche Wein aus Pablos Trauben davor und sahen zu, wie die Flammen hoch aufzüngelten,
während draußen allmählich die Dunkelheit
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