Zurueck ins Glueck
seit seinem letzten Besuch
weiß gestrichen hatte. Auch der Holzfußboden und die Wände leuchteten makellos weiß, was den Raum sehr hell, aber auch ein wenig steril wirken ließ. Durch die vier großen Fenster strömte während des Tages eine Fülle von Licht, besonders seit Caroline die Laura-Ashley-Vorhänge abgenommen hatte, die ihre Mutter eigens für diesen Raum hatte anfertigen lassen.
Ungefähr vier Meter von ihm entfernt standen drei große, ungefähr einen Meter zwanzig mal einen Meter zwanzig messende, auf Holzrahmen aufgezogene Leinwände. Caroline hatte sie umgedreht, er konnte nur die Rückseite sehen.
»Achte bitte auf die Reihenfolge«, mahnte sie noch einmal.
»Sicher, Engelchen.« Marcus war bester Laune, seit er sich seinen neuesten Schlachtplan zurechtgelegt hatte. Wenn er Caroline hier genug Honig um den Mund geschmiert hatte, würde er ins Bad gehen und ihr Diaphragma präparieren – und dann der Dinge harren, die da kommen würden.
Caroline drehte das erste Bild um.
»Ich habe es Shepherd’s Delight genannt – Schäfers Freude«, erklärte sie.
Marcus starrte das Gemälde einen Moment lang sprachlos an. Es war die schönste Darstellung eines Sonnenunterganges, die er je gesehen hatte. Das satte Karminrot am oberen Rand der Leinwand ging langsam, nahezu unmerklich in ein feuriges Orange über, das allmählich verblasste und zu einem durchscheinenden Gelb wurde. »Mein Gott, Caroline...« Er wollte aufstehen, um sich das Bild aus der Nähe anzusehen, aber sie hielt ihn davon ab.
»Nein, bleib sitzen, ich bin noch nicht fertig.«
Marcus sank auf den Stuhl zurück. »Aber das ist einfach überwältigend, Caro... die Farben, die Wärme, die Einzigartigkeit des Augenblicks, die du eingefangen hast. Es sieht aus wie ein Foto, nur habe ich einen so tollen Sonnenuntergang noch nie erlebt.«
Dieses eine Mal war seine Bewunderung nicht geheuchelt. Irgendwie war es Caroline gelungen, einen so farbenprächtigen, von pulsierendem Leben erfüllten Sonnenuntergang zu schaffen, wie es ihn in der Natur kaum gab. Ein Sonnenuntergang auf Speed, dachte Marcus. Wahrscheinlich war dieser Vergleich gar nicht so abwegig.
»Wie hast du das Bild doch gleich genannt?«
»Tja, siehst du, genau das ist der springende Punkt. Es heißt Shepherd’s Delight, wegen des alten Sprichwortes. Du hast es bestimmt schon gehört: Abendrot – gut Wetter Bot’. Wenn sich der Himmel abends rot verfärbt, gibt es am nächsten Tag schönes Wetter. Das ist so eine Bauernregel, nach der sich die Schäfer immer richten.«
»Du und deine Sprichwörter.« Marcus lachte. »Jetzt zeig mir das nächste Bild. Besser als dieses hier kann es gar nicht sein.«
Caroline kicherte. »Das hier nenne ich Shepherd’s Warning – Schäfers Furcht.« Sie drehte die zweite Leinwand um.
Marcus studierte das Bild einen Moment lang, dann sah er seine Freundin verwirrt an.
»Was soll das denn bedeuten? Das ist ja eine genaue Kopie des vorigen Bildes. Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Ganz und gar nicht«, widersprach sie indigniert. »Du verstehst nicht, worauf ich hinauswill. Die beiden Bilder
sind identisch, stimmt, aber dieses hier heißt Shepherd’s Warning, weil das Sprichwort noch weitergeht: Abendrot – gut Wetter Bot’; Morgenrot – schlecht’ Wetter droht. Das bedeutet, dass es ein scheußlicher Tag wird, wenn der Himmel morgens rot ist.« Caroline brach ab. »Kapierst du denn nicht?«, fragte sie ungeduldig. »Ich will damit zeigen, dass viele Dinge zwei Seiten haben. Es hängt allein vom Standpunkt des Betrachters ab, ob er etwas als wunderschön oder als bedrohlich empfindet.«
Marcus bemühte sich, ein überzeugtes Gesicht zu machen. »Alles klar, jetzt begreife ich, worauf du hinauswillst. Aber es ist trotzdem ein tolles Bild, Caro. Diese Farben!« Er wusste, dass er sich wiederholte, aber ihm fiel nichts ein, was er sonst hätte sagen können. »Wie hast du es bloß geschafft, das erste Bild so detailgetreu zu kopieren?«
»Habe ich ja gar nicht. Ich habe eine lange Leinwand bemalt und sie dann in der Mitte durchgeschnitten.«
Marcus zuckte zusammen. »Na bravo. Ich hätte nie den Mut, eines deiner Werke zu zerschneiden. Aber trotzdem... ich finde, mit diesen Bildern hast du dich wirklich selbst übertroffen. Und jetzt möchte ich Nummer drei sehen.«
Caroline drehte die dritte Leinwand um. »Das hier habe ich Shepherd’s Pie genannt«, verkündete sie, dabei wartete sie gespannt auf Marcus’ Reaktion. Der
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