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Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Titel: Zurück ins Licht (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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schlotternd im strömenden Regen , die Hände in den Nacken gelegt. Jemand stieß ihm mit brutaler Kraft einen Gewehrkolben in die Nieren, sodass er stolperte und auf dem schlammigen Boden ausrutschte. Er sank auf die Knie, als sie ihn erneut schlugen, bis er besinnungslos mit dem Gesicht nach vorn in den Matsch fiel.
    „Nein!“ Angel presste die Finger an die unerträglich pochenden Schläfen. „Nicht jetzt. Nicht. Lass mich in Ruhe. Geh einfach.“
    Er mühte sich, seine Atmung unter Kontrolle zu behalten und die Gedanken an eine ihm fremde Vergangenheit aus seinem Kopf zu verbannen, dennoch konnte er nicht verhindern, dass er immer heftiger am ganzen Körper zitterte. Er taumelte gegen die Wand, als ein gewaltiger Blitz ihn blendete.
    Die plötzliche Helligkeit gab den Blick frei auf eine fensterlose Zelle. Riesenhafte, vermummte Gestalten fielen über den völlig entblößten Jungen her , der sich vergeblich in qualvoller Angst wand. Todesangst, weil die brutalen Schläge nicht das Schlimmste waren. Er wusste, was sie tun würden. Einer nach dem anderen. Stundenlang, bis er nicht einmal mehr den Schmerz fühlen würde. Bis er die Erniedrigung und Schmach nicht länger ertragen konnte und die Fesseln über sich entdeckte. Sie hingen an einer schweren Eisenkette von der Decke und schwangen hin und her, weil einer der Männer daran gestoßen war. Hin und her. Und im Rhythmus der Ringe bewegten sich die Augen des Jungen. Hin und her. Und dann war er auf einmal verschwunden. Irgendwo im Inneren. In Sicherheit.
    Zurück blieb Philon, der keine Ahnung hatte, wer er war und wieso er hier lag. Der keine Vergangenheit hatte, keine Familie. Aber er hatte eine Aufgabe zu erfüllen: den Schmerz und die Einsamkeit im Krankenhaus zu ertragen, in das der Junge mehr tot als lebendig gebracht worden war. Als er auf der Krankenstation lag, wo seine Verletzungen genäht wurden – nicht das erste Mal, wie die Ärzte mit Entsetzen feststellten –, wusste er nicht, was passiert war. Er konnte sich nicht erinnern, warum er in diesem weißen Bett lag und ihn die Ärzte und Schwestern mit diesem eigenartig wissenden Ausdruck musterten, weshalb sie miteinander tuschelten und sich bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, wenn sie glaubten, er würde es nicht mitbekommen.
    Angel stöhnte auf. Eine vage Erinnerung an das Knirschen eines ausgerenkten Armes stieg in ihm auf, an die Übelkeit und das schrille Wimmern, das einen Schrei ersetzt, wenn einem der Mund gewaltsam zugehalten wurde. Aber es waren nicht seine Erinnerungen! Er hatte nie solche Gewalt erfahren! Was also wollten sie von ihm? Und wer war Philon? Woher kannte er ihn? Immer wieder tauchte er in seinen Alpträumen auf. Was hatte er mit ihm zu tun?
    H alb blind stolperte er weiter über die Flure, die sich in ein Labyrinth aus Lichtern und Gänge verwandelten, und erreichte schließlich schweißgebadet sein Arztzimmer. Und dann sah er die Augen des Jungen, schreckensstarre Augen, die auf ihn gerichtet waren. Augen, so leer und tot wie die einer Puppe. Seine Augen!
    Eine stählerne Klaue griff nach seiner Kehle und drückte zu.
     
    Als Stojanow wieder zu Bewusstsein kam, lag er ausgestreckt auf dem Boden. Er fasste an seinen schmerzenden Hinterkopf und griff in etwas Klebriges. Kopfschüttelnd sah er Blut an seiner Hand, ehe ihm die Augen vor Erschöpfung zufielen.
    Irgendetwas zwang ihn sich aufzurichten. Als hätte ein Kind an den Fäden einer Marionette gezogen, fand er sich im Lotos-Sitz wieder. Losgelöst von jedem Willen ließ er es mit sich geschehen. Unendliche Ruhe und wohlige Wärme umgaben ihn, erfüllten sein Innerstes und gaben ihm die Selbstbestimmung zurück, etwas, von dem er lange Zeit in seinem Leben kein bisschen besessen hatte. Weniger noch als das. Er war nichts als ein dressiertes Hündchen gewesen.
    Er würde eher morden, als diese Selbstbestimmung wieder aufzugeben.
    Erneut verlor er völlig den Bezug zur Außenwelt. Er verstand das Gefühl nicht, das er empfand, wusste nicht, wie ihm diese Gedanken gekommen waren, ob es überhaupt seine Gedanken waren. Bis ein weinendes Kind seine Verwirrung durchdrang. Die Laute erklangen direkt vor ihm, obwohl er niemanden erkennen konnte. Dann ein Zischen, ein Geräusch wie Fleisch, das auf Fleisch trifft, und ein Stöhnen, welches ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wollüstiges, geiles Stöhnen. Und das Bild eines Mannes, dessen Gesicht sich ekstatisch verzerrte.
    Die Wut brodelte wie ein Vulkan in ihm. Er wollte

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