Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
und Wünsche.
Das Geld aus dem Verkauf ihrer Bilder würde schnell aufgebraucht sein. Wie wollte sie danach sich und vier Kinder versorgen? Kunst war ein unsicheres Geschäft. Auch würde sie nach der Geburt der Babys nicht mehr bei Wichmanns wohnen können. Wo sollte sie hin?
Sie war auf sich allein gestellt.
„Es war ein anstrengender Tag. Ich gehe dann besser. Du musst müde sein.“ Angel wedelte mit der flachen Hand vor ihrem Gesicht, als wollte er ihre Gedanken fortwischen. „Karo, du träumst.“
Sie erschrak heftig und hob instinktiv ihren Arm über den Kopf.
In diesem Moment öffnete die Schwester die Tür, um das Ende der Besuchszeit zu verkünden.
Danilo sah Karos angespannte Haltung, ihren ängstlichen Blick und schrie, völlig die Beherrschung verlierend: „Stoj!“
Es war die Abkürzung von Angels Nachnamen, den die beiden als Kinder benutzt hatten, um sich gegenseitig vor Gefahren zu warnen. Und es war eines der wenigen Worte, das Angel bei seinem Auffinden vor der Klinik gesprochen hatte.
Angel fuhr herum. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Freund an. Er hob beide Hände zu einer beruhigenden Geste und ging einen Schritt auf ihn zu.
„Danilo, das hast du …“
„Bleib stehen und lege die Hände in den Nacken!“
Angel verharrte wie angewurzelt und schüttelte verwundert den Kopf.
Drohend klangen Danilos Worte zu Karo herüber, die verzweifelt aufschrie: „Dani, nicht! Er hat nichts getan! Es ist doch gar nichts passiert! Es war ein Versehen, hörst du?“
Lediglich mit Mühe konnte Karo von der Schwester daran gehindert werden, aus dem Bett zu springen, um zwischen die beiden sich wie Feinde gegenüberstehenden Männer zu gehen. Karo tobte und fluchte und verwünschte Danilo, bis sie schließlich an den wogenden Busen der Schwester gedrückt wurde und ihren Tränen freien Lauf ließ.
Durch Danilos Körper ging ein gewaltsamer Ruck. Erst da wurde ihm klar, in welch demütigende Haltung er seinen Freund gezwungen hatte. Sein Gesicht lief dunkelrot an, sein Atem ging schwer und vor Scham brachte er kein Wort aus seiner keuchenden Brust. Hastig wandte sich Danilo ab und stürzte aus dem Zimmer.
„ In Gottes Namen, Doktor Stojanow, haben Sie den Verstand verloren? Wo sind wir denn hier? Verlassen Sie augenblicklich den Raum!“
Er wusste, es war unklug, dieser Aufforderung nachzukommen, ohne eine Erklärung abgegeben zu haben. Aber er musste allein sein. Sofort! Er spürte es kommen, dieses unerklärliche lähmende Entsetzen, das ständig auf ihn lauerte, das er stets mit größter Mühe auf eine Armeslänge Abstand halten musste. Doch er wusste, dass er seinen Widerstand nicht viel länger würde aufrechterhalten können.
Wie ein geprügelter Hund schlich Angel davon. Er begriff nicht, wie es so weit kommen konnte, dass seine Frau sich vor ihm fürchtete und sein Freund ihn hasste. Dabei sollte dieser Abend der Zeitpunkt werden, an dem er Karo die Kinderzimmer in seinem Haus präsentieren wollte. In ihrem gemeinsamen Haus. Es war der Tag, an dem er sie bitten wollte, für immer bei ihm zu bleiben und seine Frau zu werden.
Und wozu hatte er diesen Abend genutzt? Ohne Skrup el war er mit einer anderen in seinem und Karos Schlafzimmer zugange gewesen! Ohne Sinn und Verstand hatte er seiner Begierde nachgegeben und den Bedürfnissen seines Körpers gehorcht. Nicht eine Minute lang hatte er bedacht, welchen Schaden er damit anrichtete. Konnte ein Mensch noch tiefer sinken?
Wie betäubt lief er durch die im Halbdunkel liegenden Gänge der Klinik, die langsam vor seinen Augen verschwammen. Seine Hände wurden feucht und er verspürte eine fahle Übelkeit. Obwohl er nur ein dünnes Hemd trug, begann er zu schwitzen. Sein Schädel dröhnte, sein Herz raste und stolperte. Schwindel rollte über ihn hinweg. Er tastete blind nach der Wand, um Halt zu finden, doch vergebens. Seine Knie knickten ein und er fing an zu würgen. Nichts kam hoch, denn er hatte an diesem Tag nichts gegessen, aber die Übelkeit blieb. Und die Angst, die ihn in die Finsternis stürzen wollte. Etwas wie ein schwarzer Schleier trübte seine Sicht, die Bilder vor seinem geistigen Auge waren dafür umso deutlicher. Mit wachsendem Grauen spürte er, wie die Erinnerungen an die Oberfläche drängten und sein Bewusstsein für die Gegenwart zerstörten. Zaghaft zunächst erschienen einzelne Bilder, die ihm bekannt vorkamen und die er trotz allem nicht einordnen konnte.
Der Junge stand halb nackt und vor Kälte
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