Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
wollten längst auf der Piste sein“, setzte sie brummelnd ihr Selbstgespräch fort. „Ich möchte zu gern wissen, ob die beiden Turteltäubchen überhaupt schon wach sind.“
Da war en wieder dieser blöde Kloß in ihrem Hals, der sie fast erstickte, und diese hartnäckigen Stiche in der Herzgegend, wenn sie an Danilo dachte.
Als sie am Spiegel vorbeischlenderte, blieb sie mit einem heftigen Ruck stehen, sodass sie das Gleichgewicht verlor und gegen den Toilettentisch taumelte. Die Augen weit aufgerissen, drehte sie sich im Tai-chi-Tempo um und verzog ihr Gesicht vor Schreck zu einer Grimasse.
„He, he, he! Was willst du von mir? Ich kenne dich nicht! Und überhaupt, was glotzt du so blöde?“, knurrte sie ihr Spiegelbild an und streckte die Zunge heraus. Sie seufzte abgrundtief. „Als ein Mensch mit großem Herzen werde ich mich trotzdem um dich kümmern und dich waschen“, sie fuhr sich mit den Fingern durch das wirre Haar, „und vor allem Ordnung in dieses Unkraut bringen.“
Sie schlenderte in den Wohnraum und ließ sich in einen Sessel sinken. Auf dem Couchtisch lag die Regionalzeitung. Obwohl sie fein säuberlich zusammengefaltet war, hatte sie Angel offenbar bereits gelesen. Karo hatte einen untrüglichen Blick für ausgelesene Zeitungen. Dieser Kerl schien ein extremer Frühaufsteher zu sein, dachte sie und versuchte auszurechnen, wie lange er wohl in dieser Nacht geschlafen haben mochte. Sein Bettzeug lag wohlgeordnet auf der Couch. Sie wäre jede Wette eingegangen, dass es genauso gefaltet war wie am Vortag und nichts in diesem Raum an ihr tief schürfendes, nächtliches Gespräch erinnerte. Hatte sie das alles etwa nur geträumt?
Ihr Blick blieb an einem Stapel frischer Handtücher auf dem Sideboard hängen. Stirnrunzelnd hob sie die Augenbrauen. Angel hatte vergessen, die Wäsche mit in das Bad zu nehmen. Sie stellte sich vor, wie das Wasser gerade über seinen werbewirksamen Körper rann. Den benutzte er wie eine Waffe. Und weil keine andere in der Nähe war, hatte er es auf sie, die kleine, unschuldige Studentin, abgesehen. So einfach war das. Aber ihr war auch klar, dass man solche Männer nur aus sicherer Entfernung begehren durfte.
Das Wasser der Dusche lief noch, als sie an die Tür klopfte , sodass sie natürlich keine Antwort erwarten durfte. Zögernd trat sie gerade in dem Moment ein, als Angel den Wasserhahn abdrehte. Bevor er den Vorhang der Dusche zurückschlug, rief sie ihm ein fröhliches „Guten Morgen“ entgegen.
Was dann geschah, war eindeutig nicht ihre Schuld. Sie hatte ihn schließlich vorgewarnt. Niemand hätte ihr vorhalten können, dass sie es darauf angelegt hatte. Ganz bestimmt nicht! Völlig ungeniert stieg Angel aus dem Duschbecken und nahm das Badetuch entgegen, das sie ihm reichte. Mit einer gelassenen Geste schlang er sich das Tuch um die schmalen Hüften. Karo heftete ihren Blick auf seine Brust. Das war weit genug weg von seinen durchdringenden Augen, wie sie fand, und ausreichend entfernt in die andere Richtung – weg von seinem …
Du liebe Güte!
Bei seinem Anblick verschlug es ihr den Atem. Sie legte sich mächtig ins Zeug, überall hinzuschauen – bloß nicht zu ihm. Von wegen Musterknabe! Sie war schockiert und … sie war schockiert. Der hatte überhaupt kein Schamgefühl, bemerkte sie ärgerlich-erfreut und starrte die geflieste Wand an. Warum sollte er auch? Er hatte schließlich eine ganze Menge vorzuweisen. Und war vermutlich ungeheuer stolz darauf.
Als sie sich entscheiden musste, ob sie lieber sterben oder weiteratmen wollte, holte sie tief Luft. Na und? Sie würde ihm bestimmt nicht den Gefallen tun, dem Spektakel, das er um seine Person veranstaltete, irgendwelche Aufmerksamkeit zu zollen.
„Die Handtücher lagen im Wohnzimmer . Ich dachte mir, du könntest vielleicht eines brauchen“, krächzte sie und es klang nicht nur wie eine billige Entschuldigung für ihr Eindringen.
Herrjeh, es war furchtbar billig! Wollte sie etwa immer noch behaupten, es sei bloße Freundlichkeit gewesen, ihm die Wäsche hinterher zu tragen? Ja, was denn sonst? Er war doch nicht der erste Mann, der sich ihr nackt präsentierte! Und hatte sie ihn nicht bereits so gesehen, wie Gott ihn in seiner unendlichen Großzügigkeit erschaffen hatte?
H atte sie, zugegeben. Da allerdings war er eine leblose, anonyme Gestalt gewesen, umgeben von steriler Luft und kalten Maschinen, Infusionen und Kathetern – kein Vergleich mit diesem Adonis aus Fleisch und
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