Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
dann ist es am besten, ein paar Stunden diesem Bewegungsdrang nachzugeben, weil ich sonst …“
Weil er sonst … was? Was stand seinen Mitmenschen bevor, wenn er keine Möglichkeit hatte, sich durch Sport abzureagieren? Und überhaupt: Wieso musste er heute Morgen Dampf ablassen? Doch nicht etwas ihretwegen?
Er nickte nachdenklich, als hätte er ihre letzte Frage gehört. „Es war nicht gerade einfach für mich, dich in der Nacht in Ruhe schlafen zu lassen. Und glaube mir, nie war ich dankbarer für die Lektionen, die mir mein Meditationslehrer vor Jahren erteilte. Sie haben mich erkennen lassen …“
Er neut verstummte er abrupt und sein Blick ging durch sie hindurch in die Ferne, wohin sie ihm nicht folgen konnte. Plötzlich war er nicht mehr da, hatte sich selbst auf Wanderschaft geschickt und irrte in Erinnerungen umher. Das geschah ihm zuweilen, ohne dass er es verhindern konnte. Seine Augen wurden glasig, seine Miene abweisend. Er schaute in Bilder, in denen ihm vor sich selbst graute.
„Angel?“
Seine Wangenmuskeln zuckten, so fest hatte er die Zähne aufeinander gebissen, und seine Hände ballten sich zu Fäusten.
„Was hast du erkannt?“
Mit einem Ruck kam er zu sich. „Dass es in mir etwas gibt, das ich ständig unter Kontrolle halten muss.“
Karo erschrak über die Art, in der er das sagte, ganz so als schwinge eine Drohung darin mit. Als er si ch ihr zuwandte, wünschte sie sich, er hätte es nicht getan. In diesen unglaublich blauen Augen schwelte eine heftige Empfindung, die ihren Atem stocken ließ. War es Wut? Oder gar Hass? Sie wusste es nicht zu sagen.
„ Ich kann es nicht beschreiben, aber diese Kraft macht mir Angst.“
„ Oh …“, machte sie und spürte, wie sich ihr die Nackenhaare sträubten. Sein plötzlicher Stimmungswechsel jagte ihr nicht zum ersten Mal einen Schrecken ein.
„ Bist du nicht bald trocken?“, mühte sie sich um einen Themenwechsel. „Wofür habe ich dir eigentlich Handtücher gebracht?“
Ausrede! wisperte di e gehässige Stimme in ihrem Hinterkopf.
Neidhammel! giftete Karo zurück.
„Kann ich mich … auch mal … Ich wollte mich eigentlich …“
Als sie jetzt zu ihm aufschaute, lächelte er sie so hinreißend an, dass sie innehielt und dachte, dass sie von diesen ständigen, abrupten und nicht vorhersehbaren Stimmungsschwankungen irgendwann ein Schleudertrauma davontragen würde. Es war nicht das Lächeln, mit dem er seine Geliebte bedachte, sondern das eines Jungen, der sich über seine gelungene Überraschung freut. Er glich einem Sohn, der seiner Mutter zerdrückte Blumen schenkt, und die ihm versichert, sie würde niemanden so sehr lieben wie ihn.
P lötzlich hatte sie es verdammt eilig, sich aus seinen Armen zu winden. Mit erschreckender Deutlichkeit wurde ihr bewusst, dass dies die letzte Gelegenheit für ein Nein war, denn Angel hatte offenbar vor, sie nach allen Regeln der Kunst zu verführen.
Und sie war genauso fest entschlossen, sich nicht verfüh ren zu lassen. Jawohl!
Zumindest war sie ziemlich entschlossen. Sie spürte seine harte, schwere Präsenz, die gegen ihren Unterleib drückte, und keuchte auf.
Jedenfalls hatte sie den Vorsatz, entschlossen …
Sie kam nicht weiter, weil Angel sie dichter zu sich zog und ihren Mund mit seinen warmen Lippen versiegelte. Ihre Knie zitterten dermaßen heftig, dass sie sich Halt suchend an ihn lehnen musste. Lediglich einen Moment, einen einzigen, winzig kleinen an seiner breiten Brust wollte sie sich genehmigen. Höchstens so lange, bis sich der Nebel in ihrem Kopf etwas gelichtet hatte und sie ihre Umgebung wieder deutlich wahrnehmen konnte. Es hätte sie nicht überrascht festzustellen, dass ihre Knochen einfach dahin schmolzen und als kleine Tropfen den Fußboden überschwemmten.
Zu spät ! schoss es ihr durch den Kopf. Ihre Lippen öffneten sich bereitwillig. Sie wollte nichts anderes mehr, als den uralten Tanz genießen.
„Ausziehen“, murmelte Angel.
Karo mühte sich redlich, ihre Hände zu heben, um wenigstens einen winzigen Abstand zwischen sich und Angels Körper zu bringen. Sie brauchte zwei Anläufe dafür, ihre knochenlosen Arme zu heben.
„Das wolltest du doch vorhin sagen?“, erkundigte sich Angel mit unschuldsvoller Miene.
„Also, du … du … Verdammt noch mal, guck mich nicht so an! Ich wollte mich duschen!“
In den blauen Tiefen seiner Augen lag ein durchtriebenes Funkeln. Karo stockte der Atem. „Sicher nicht mit Pullover und Hose? Komm, ich kann
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