Zurück nach Hollyhill: Roman (German Edition)
ewig nicht mehr versucht habe, dachte Emily zerknirscht. Seit fast einem Jahr nicht, seit der Trennung von Lukas. Sie schauderte bei dem Gedanken daran, wie unschön es zwischen ihnen beiden auseinandergegangen war, wie sehr sie ihm wehgetan hatte – aber damit konnte sie sich nun unmöglich auch noch auseinandersetzen. Das Billardspielen jedenfalls verdankte sie ihm, und das erklärte womöglich, warum sie es seither gemieden hatte. Nun hoffte sie, dass es sich mit diesem Spiel so verhielt wie mit dem Fahrradfahren – das verlernte man auch nicht, richtig?
»Meine Fragen werden dir nicht gefallen«, sagte sie. Damit beugte sich über den Tisch und stieß die weiße Kugel an.
»Die Vollen«, erklärte sie erleichtert, während sie sich aufrichtete und die grüne Fläche vor sich betrachtete. Matt pfiff durch die Zähne. Bei Emilys Anstoß waren zwei volle Kugeln in die Taschen des Billardtischs verschwunden, die halben hatte es lediglich in alle Richtungen verstreut.
»Macht zwei Fragen?«, versicherte sich Emily.
»So sind die Regeln«, stimmte Matt zu.
Emily nickte.
Sie ging langsam um den Tisch herum, um ihren nächsten Stoß zu wählen – und die Fragen, die ihr am wichtigsten waren. Matt folgte ihr mit wachen Augen.
Emily dachte an Zombies, Vampire und vergilbte Fotografien.
»Bist du unsterblich?«, fragte sie.
»Was? Nein!« Matt klang ehrlich entsetzt. »Wir … nein.« Ein Blick in Matts Gesicht verriet Emily, dass dieser Aussage keine Erklärung mehr folgen würde. Sie überlegte einen Moment, dann versuchte sie es andersherum.
»Wie lange macht ihr das schon?«, fragte sie. »Das mit den Zeitreisen?«
Matt zögerte. »Lange«, antwortete er dann. »Schon ewig.«
Emily blieb stehen und hob fragend die Brauen.
»Einige Jahrzehnte«, präzisierte er seufzend. »Vielleicht ein Jahrhundert?« Er gab einen gequälten Laut von sich.
Emily beließ es dabei, doch innerlich schauderte sie. Ein Jahrhundert? Du liebe Güte.
»Wie alt …«, begann sie, aber Matt fiel ihr ins Wort.
»Das waren zwei Fragen, oder?«
Emily biss sich auf die Lippen. Sie drapierte ihre Hand wie eine Brücke auf dem Tisch und visierte mit dem Queue die weiße Kugel an, die die grüne Sechs ins mittlere Loch schieben sollte.
»Neunzehn«, sagte Matt. Nichts weiter.
Emily atmete tief ein, dann nahm sie sich die blaue Zwei vor. Es lief gut für sie, so viel stand fest, offenbar war Lukas kein schlechter Lehrer gewesen. Während sie die Weiße über Bande spielte und die angepeilte Kugel in eine der Ecktaschen verschwand, fragte sie: »Meintest du das, als du sagtest: ›Außerhalb von Hollyhill ist jeder von uns nur ein Mensch wie jeder andere auch‹?«
Matt antwortete nicht gleich, also drehte Emily sich zu ihm um. Er starrte sie an, seine Augen leuchteten. Sie hatte seinen wunden Punkt getroffen, das spürte sie sehr deutlich.
»Warum stellst du all diese Fragen, wenn du die Antworten ohnehin schon kennst?«, wollte er wissen.
Emily erwiderte seinen Blick. »Es stimmt also?«, fragte sie leise. »Ihr werdet nie alt, es sei denn, ihr verlasst das Dorf?« Sie versuchte ruhig zu bleiben, aber innerlich zitterte sie. Oh, mein Gott , dachte sie. Oh. Mein. Gott!
Matt stierte einige weitere Sekunden in ihre Richtung, dann nickte er langsam.
Emily schluckte und wandte sich ab. Sie entfernte sich ein paar Schritte von Matt und gab vor, sich auf das Spiel zu konzentrieren, doch in ihrem Kopf hämmerte und pochte es, als nähme jemand eine Generalrenovierung vor. Was vielleicht auch der Fall war. Die Grenzen ihres Vorstellungsvermögens jedenfalls waren längst gesprengt und lagen in Trümmern.
Sie zuckte zusammen, als Matt sie ansprach. »Du solltest violett versuchen«, schlug er vor, und Emily hielt die Luft an. Dieses Spiel setzte ihr mehr zu, als sie für möglich gehalten hätte, aber eines musste sie noch wissen. Die Vier donnerte ins Mittelloch, und Emily fragte: »Warum hasst du meine Mutter so? Was hat sie getan, dass du wegen ihr das Dorf verlassen hast?«
Einen Moment lang war nur das Grollen der Kugel zu hören, die sich ihren Weg durch die Unterseite des Tisches bahnte, dann hörte sie einen Stuhl quietschen und als sie sich umdrehte, hatte Matt sich hingesetzt und die Beine übereinander geschlagen. »Bist du in einer Kneipe aufgewachsen?«, fragte er gleichmütig. Er lehnte sich zurück und legte das Queue quer über seinen Schoß.
Er sah vollkommen unerschüttert aus, doch Emily wusste, dass es in seinem
Weitere Kostenlose Bücher