Zurückgeküsst (German Edition)
überwältigen. Die dann jedes Mal wieder neu zu verdrängen war harte Arbeit. Doch es musste sein. Und ich hatte ja Übung in dieser Art von Verdrängung – fast mein ganzes Leben hatte ich Erinnerungen an meine Mutter und an meine Ehe unter Verschluss gehalten. Ich war nicht fähig, echte, aufrichtige und dauerhafte Liebe zu geben, das hatte ich ja wohl bewiesen, oder? Ich war eben ganz die Tochter meiner Mutter. Emotional verkrüppelt.
Am Montag gab ich Coco einen Abschiedskuss, sorgte dafür, dass sie ihren Hasen und ausreichend Spielzeug zum Zerkauen in Reichweite hatte, und fuhr zur Arbeit, ausnahmsweise nicht mit dem Fahrrad. Obwohl ich die Insel während meiner Abwesenheit vermisst hatte, nahm ich die Felsen und Gagelsträucher auf der Fahrt nach Edgartown kaum wahr. Die Sonne schien, es ging ein laues Lüftchen, und der Duft von Kaffee wehte aus dem kleinen Café vom Ende der Straße herüber. Es war ein wunderschöner Tag – nur an mich war er vergeudet.
„Sieh an, sieh an, wer wieder da ist!“, dröhnte Theo, als ich in das alte Kapitänshaus kam, im dem Bainbrook, Bainbrook & Howe ihre Kanzlei hatten. „Schön, dich zu sehen. Hattest duwirklich so viel Urlaubszeit angesammelt? Geh ja nie wieder weg. Wusstest du, dass ich letzte Woche tatsächlich mit einem Klienten sprechen musste? Das habe ich schon seit Jahren nicht mehr getan!“ Er packte mich an den Schultern und sah mir freudestrahlend ins Gesicht. „Tja, war schön, mit dir zu reden. Aber jetzt zurück an die Arbeit!“ Er tänzelte in sein Büro und kehrte an sein geliebtes Indoor-Putting-Green zurück.
„Alles gut?“, fragte Carol und reichte mir einen Stapel Mitteilungszettel.
„Alles prima“, log ich. „Und bei dir?“
„War nie besser.“
„Super.“ So viel zu Lobhudeleien, Dank und zwanglosem Geplauder. „Carol, könntest du bitte versuchen, den neuen Sachbearbeiter von Richter McMurty ans Telefon zu bekommen? Und ich brauche die Denver-Akte.“
„Ja, Meister“, erwiderte Carol. „Kann ich sonst noch was tun? Dir den Hintern abwischen? Dein Essen vorkauen und wieder hervorwürgen, damit du nicht so viel zu tun hast?“
„Das wäre fantastisch“, antwortete ich. „Aber erst der Anruf und die Akte, bitte.“ Ich ging in mein Büro, und die aufgesetzte gute Laune verflog im Nu.
Mein Büro war sehr schön. Diplome an den Wänden. Frische Blumen jeden Montag. Ein Landschaftsgemälde eines hiesigen Künstlers in beruhigenden Farben, das die Qual der gebrochenen Herzen meiner weinenden, wütenden oder benommenen Klienten lindern sollte … Verwundete, die eine schlechte Wahl getroffen hatten oder nicht wussten, wie man Kompromisse schloss oder sich in einer Beziehung voll und ganz hingab oder Liebe annahm oder … schenkte.
Okay. Zurück an die Arbeit, einst glücklichen Paaren bei der Trennung zu helfen! Apropos: Ich musste dringend mit Willa sprechen und fragen, ob sie die Scheidung einreichen wollte. Mist. Vielleicht sollte ich sie diesmal allein damit fertig werden lassen.
Außerdem musste ich mich mit BeverLee treffen. Ich hatte sie am Wochenende zweimal angerufen, aber beide Male warmein Vater dabei gewesen, was ich daran erkannte, dass Bev übermäßig fröhlich war und fast nur verdrehte Binsenweisheiten von sich gab. Im Moment war Willa dort, und Bev hatte alle Hände voll zu tun, ihre Tochter zu trösten. Also hatten wir noch nicht wirklich miteinander gesprochen, was unbedingt nötig war. Aber dieselbe Panik, die mich beim Gedanken an Nick überkam, spürte ich auch, wenn ich daran dachte, dass BeverLee die Insel verlassen könnte.
Ich brauchte ein paar Tage, um wieder in meinen gewohnten Rhythmus zu kommen. An einem verregneten Tag ging ich mit Pater Bruce im Offshore Ale Mittag essen, da der gute Pater gern ein Bier zu seinem Hamburger trank. Er schwieg gnädig, als ich ihm erzählte, dass Dennis und ich nun doch getrennte Wege gingen. Nickend tätschelte er mir die Hand, dann erzählte er mir von den sieben Paaren, die er in seinem Ehevorbereitungskurs hatte.
„Vielleicht könnte ich da mal vorbeischauen“, schlug ich vor.
„Als Todesengel?“, erwiderte der Priester und trank einen Schluck Ale.
„Nein, eher als die Stimme der Vernunft. Sie wissen schon … Einblicke in die Hintergründe geben, warum so viele andere Paare … es nicht schaffen.“
„Und was sind das für Hintergründe, meinen Sie?“, fragte er freundlich.
Zu meiner Überraschung traten mir Tränen in die Augen. „Ich habe
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