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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein Kostenlos Bücher Online Lesen
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Daher verbot ich mir das Essen nach achtzehn Uhr. Es half nichts. Erst als sich der Reißverschluss der Jeans nicht mehr schließen ließ, selbst im Liegen nicht, kehrte mein Ehrgeiz zurück.
    Appetit konnte man unterdrücken, die Gedanken über den Sinn der menschlichen Existenz aber nicht, sie türmten sich zu einem Gebirge auf.
    Puscha gegenüber hatte ich, versehentlich versteht sich, zugegeben, dass ich weder an Gott noch an den Sozialismus und nun auch nicht mehr an die Liebe glaubte. Wozu man leben würde, das hätte doch alles keinen Sinn. Es war keine Frage gewesen, eher eine Feststellung. Sie aber musste ihren Senf dazugeben und lachte mich erst einmal aus, wie sie es gerne tat.
    »No, wenn unser Dasein einen tieferen Sinn hätte«, gab sie zum Besten, »dann hätte alles einen Sinn, jedes Ding, jedes Gefühl. Gibst du mir recht?«
    »Wozu aber soll ein Sandsturm gut sein«, philosophierte sie. »Für gar nichts. Also hat nichts einen tieferen oder allumfassenden Sinn oder wenn, dann ist er so groß, dass wir ihn mit unseren geistigen Mitteln nicht begreifen können.«
    »Also alles hinschmeißen?«
    »Aber nein, es«, sie meinte das Leben, »ist doch ab und zu ganz spaßig, das solltest du bitte nicht übersehen.« Puscha lachte mich nicht mehr aus, sondern an, trotzdem wuchs und gedieh in mir die Hoffnungslosigkeit.
    Ich will doch nur glücklich sein, das kann verdammt noch mal nicht so schwer sein,
schrieb ich in mein Tagebuch .
     
     
    Es war einer jener Rückkehrtage, an denen sich die Kälte als unerwünschter Besucher durch die Straßen Kronstadts drängte, sich großspurig aufblähte und man nach weggeräumten Halstüchern und Jacken suchen musste. Misch war nicht nach Hause gekommen. Einen Tag und zwei Nächte lang bangten wir um sein Leben, dann brachten sie ihn. Zwei Lastwagenfahrer hatten ihn gefunden, siebzig Kilometer von Kronstadt entfernt, in einem Straßengraben. Seine Beine und mehrere Rippen schienen gebrochen. Wir erkannten ihn an seiner Kleidung. Starr vor Kälte lag er auf Puschas Bett. Das Gesicht war geschwollen und blutverkrustet. Wir versuchten, ihn zu waschen, doch er schrie vor Schmerzen laut auf und schlug um sich. Etwas Schreckliches musste passiert sein, wir konnten uns nicht erklären, was. Die Polizei sollten wir nicht rufen, raunte Misch uns zu, mehr sagte er nicht. Da wussten wir, dass es mehr als ernst war. Erst ein einziges Mal hatte ich Puscha weinen sehen.
    »Warum ausgerechnet mein Kapitän?«, fragte sie. Ihre Hände zitterten, als sie immer wieder zum Telefonhörer griff, um im Krankenhaus anzurufen. Beim drittenAnruf kam endlich eine Verbindung zustande. Man fragte sie nach dem Alter des Patienten.
    »Das Alter, sind Sie blöd? Wozu soll das wichtig sein?«, schrie Puscha in den Hörer.
    Die Antwort bekam ich nicht mit, aber meine Großmutter raufte sich die Haare und knallte den Hörer auf den Apparat. Kurze Zeit später rief sie bei allen Bekannten an, die irgendwelche Beziehungen zu einem Arzt hatten.
    Dr.   Dumitrescu kam erst am Abend. Er war sehr höflich, aber auch sehr müde und auch sehr direkt.
    »Bevor Sie mir nicht 2000   Lei geben, kann ich gar nichts tun. Wie Sie wissen, mache ich mich strafbar, wenn ich zu Ihnen nach Hause komme. Und so wie es aussieht, muss er ins Krankenhaus. Also geben Sie mir besser gleich das Doppelte, damit ich den Arzt im Krankenhaus schmieren kann.« Dr.   Dumitrescu lächelte freundlich, unterstrich damit, dass es sich um einen fairen Preis handelte. Nachdem er das Geld eingesteckt hatte, lud er uns alle in seinen Wagen. Obwohl mich niemand dazu aufgefordert hatte, fuhr ich mit.
    Dabei stand ich nur im Weg. An der Pforte feilschte einer der Angestellten lange mit Dr.   Dumitrescu. Misch brauchte ein Bett. Um eins zu ordern, verlangte der baumlange Portier einen Hunderter, sein Kollege jedoch fand den Preis zu niedrig. Nachdenklich kratzte sich der Arzt am Kinn. Bis Puscha endlich eingriff und bezahlte, war das letzte Bett an Nachrücker vergeben worden.
    »Drecksbande.« Der junge Arzt ließ uns fluchend stehen, kam nach einer Weile zurück und half Misch auf einen Medikamenten- oder Servierwagen.
    »Der Stationsarzt ist informiert, und das da«, er zeigte auf den Wagen, »habe ich von meinem Anteil bezahlt. Es wird schon schiefgehen«, sagte er und verschwand. Die Ambulanz war noch besetzt, wir hatten Glück. Aber mehrere Schwerverletzte lagen entlang der Wände aufgereiht, offensichtlich hatte es in der

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