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Zusammen ist man weniger allein

Zusammen ist man weniger allein

Titel: Zusammen ist man weniger allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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in einem schönen großen Bett geschlafen, so einem wie diesem hier, mit einer Wollmatratze und einem Kruzifix über dem Kopf, und jetzt siecht sie in so ’ner Art Eisenkäfig dahin.«
    »Ist sie im Krankenhaus?«
    »Nee, im Altenheim.«
     
    »Camille?«
    »Ja?«
    »Hast du die Augen offen?«
    »Ja.«
    »Merkst du, wie schwarz die Nacht hier ist? Wie schön der Mond ist? Wie die Sterne leuchten? Hörst du das Haus? Die Rohre, das Holz, die Schränke, die Uhr, das Kaminfeuer unten, die Vögel, die Tiere, den Wind. Hörst du das?«
    »Ja.«
    »Tja, sie … sie hört das alles nicht mehr. Ihr Zimmer geht auf einen Parkplatz, der rund um die Uhr erleuchtet ist, sie hört die Metallwägelchen, die Unterhaltungen der Schwesternhelferinnen, ihre röchelnden Nachbarn und die Fernseher, die die ganze Nacht durchlaufen. Und … Und sie krepiert daran.«
    »Und deine Eltern? Können die sich nicht um sie kümmern?«
    »Ach, Camille.«
    »Was denn?«
    »Bring mich nicht auf das Thema. Schlaf jetzt.«
    »Ich bin nicht müde.«
     
    »Franck?«
    »Was denn noch?«
    »Wo sind deine Eltern?«
    »Keine Ahnung.«
    »Was soll das heißen, keine Ahnung?«
    »Ich hab keine.«
    »…«
    »Meinen Vater hab ich nie gekannt. Ein Fremder, der auf einem Autorücksitz seine Eier entleert hat. Und meine Mutter, eh …«
    »Ja?«
    »Na ja, meine Mutter war nicht grad glücklich darüber, daß irgendein Blödmann, von dem sie nicht mal mehr den Namen weiß, bei ihr seine Eier entleert hat … also …«
    »Ja?«
    »Ach nix …«
    »Was nix?«
    »Na ja, sie wollt ihn nicht.«
    »Den Kerl?«
    »Nee, den Kleinen.«
    »Hat deine Großmutter dich aufgezogen?«
    »Meine Großmutter und mein Großvater.«
    »Und er ist tot?«
    »Ja.«
     
    »Hast du sie nie wiedergesehen?«
    »Camille, ich sag dir doch, hör auf. Sonst fühlst du dich hinterher nur verpflichtet, mich in den Arm zu nehmen.«
    »Doch. Erzähl weiter. Das Risiko nehme ich gern in Kauf.«
    »Lügnerin.«
    »Hast du sie nie wiedergesehen?«
    »…«
    »Entschuldige bitte. Ich hör auf.«
     
    Sie hörte, wie er sich umdrehte:
    »Ich … Bis ich zehn war, hab ich nix von ihr gehört. Das heißt, doch, am Geburtstag und an Weihnachten gab’s immer ein Geschenk, aber später hab ich erfahren, daß das nur Schmu war. Noch so ein Trick, der mich verwirren sollte. Ein netter Trick zwar, aber trotzdem ein Trick. Sie hat uns nie geschrieben, aber ich weiß, daß meine Omi ihr jedes Jahr mein Schulfoto geschickt hat. Und irgendwann, weiß der Himmel – vielleicht sah ich darauf süßer aus als sonst? Vielleicht hat mich der Lehrer an dem Tag noch mal gekämmt? Oder der Fotograf hat eine Micky-Maus-Figur gezückt, um mich zum Lachen zu bringen? Egal wie, der kleine Junge auf dem Foto hat Sehnsüchte in ihr geweckt, und sie hat sich angekündigt, um mich zu holen. Ich erzähl dir nicht, was das für ein Aufstand war. Ich hab geschrien, um bei meiner Omi bleiben zu dürfen, die mich getröstet hat und immer wieder gesagt hat, wie toll es doch wär, daß ich jetzt endlich eine richtige Familie hätte, und die noch mehr geflennt hat als ich und mich an ihren großen Busen gedrückt hat. Mein Opa hat gar nix mehr gesagt. Nein, das erzähl ich nicht. Du bist schlau genug, dir das vorstellen zu können, oder? Aber glaub mir, es war heftig.
    Nachdem sie uns mehrmals versetzt hatte, war sie gekommen. Ich bin in ihr Auto gestiegen. Sie hat mir ihren Mann gezeigt, ihr anderes Kind und mein neues Bett.
    Am Anfang hat es mir saugut gefallen, in einem Etagenbett zu schlafen, aber abends hab ich geflennt. Ich hab ihr gesagt, daß ich wieder nach Hause will. Sie hat mir geantwortet, daß das hier mein Zuhause ist und daß ich ruhig sein soll, um den Kleinen nicht zu wecken. In der gleichen Nacht und in all den anderen hab ich ins Bett gemacht. Das hat sie genervt. Sie hat gesagt: Ich bin mir sicher, du machst das extra. Dein Pech, dann bleibst du halt im Nassen liegen. Alles wegen deiner Großmutter, die hat dir den Charakter verdorben. Danach bin ich verrückt geworden.
    Bis dahin hatte ich auf dem Land gelebt, bin jeden Abend nach der Schule angeln gewesen, im Winter hat mich mein Großvater mitgenommen, zum Pilzesuchen, auf die Jagd, in die Kneipe. Ich war immer draußen, immer in Stiefeln, immer bereit, mein Fahrrad irgendwo hinzuschmeißen, um von den Wilderern zu lernen, und plötzlich war ich in einem beschissenen Plattenbau in einem Scheiß-Pariser Vorort, eingepfercht zwischen vier Wänden, einem

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