Zusammen ist man weniger allein
nur, Camille, das ist mein Haus. Das ist es.«
4
Camille blieb stehen.
»Was ist denn? Was hast du denn?«
»Das ist … das ist Ihr Haus?«
»Ja, sicher! Oh, sieh nur, was für ein Durcheinander. Es ist gar nichts geschnitten worden. Was für ein Jammer.«
»Meins, könnte man meinen.«
»Pardon?«
Ihrs, nicht das in Meudon, in dem sich ihre Eltern das Gesicht zerkratzt hatten, sondern das Haus, das sie malte, seit sie groß genug war, einen Filzstift zu halten. Ihr kleines fiktives Haus, dieser Ort, an den sie sich mit ihren Träumen von Hühnern und Weißblechdosen zurückzog. Ihre Polly Pocket, ihr Barbie-Wohnwagen, ihr Marsupilamis-Nest, ihr blaues Häuschen am Berge, ihr Tara, ihre afrikanische Farm, ihr Felsentempel.
Paulettes Haus war eine kleine stämmige Frau, die den Hals reckte, die den Besucher mit den Händen in den Hüften empfing und vorgab, kein Wässerchen trüben zu können. Eine von denen, die die Augen niederschlugen und sich bescheiden gaben, wo doch alles in ihnen vor Zufriedenheit und Wohlbehagen strotzte.
Paulettes Haus war ein Frosch, der einmal so groß wie ein Ochse werden wollte. Die kleine Bruchbude eines Schrankenwärters, die sich nicht scheute, mit den Loireschlössern Chambord und Chenonceaux zu konkurrieren.
Großmannsträume, eine eitle und stolze Bäuerin, die sagt:
»Sehen Sie nur, Schwester. Es reicht doch, oder? Mein Schieferdach mit dem weißem Kalktuff, der die Tür- und Fensterrahmen zur Geltung bringt, das genügt doch, oder nicht?«
»Nein.«
»Ach so? Und meine beiden Dachgauben hier? Sie sind doch hübsch, meine Dachgauben mit den behauenen Steinen?«
»Mitnichten.«
»Mitnichten? Und das Kranzgesims? Ein Kamerad hat es mir zugeschnitten!«
»Sie reichen keineswegs heran, meine Liebe.«
Die hochnäsige Kleine ärgerte sich so sehr, daß sie sich mit Weinspalieren bedeckte, mit den unterschiedlichsten Blumentöpfen schminkte und ihre Verachtung sogar so weit trieb, sich über der Tür mit einem Hufeisen zu piercen. Ätsch, das hatten sie nicht, die ganzen Agnès Sorel und die anderen Damen Poitiers!
Paulettes Haus existierte.
Sie wollte nicht hineingehen, sie wollte ihren Garten sehen. Was für ein Jammer. Alles kaputt. Überall Quecken. Und außerdem war jetzt die Zeit der Aussaat. Der Kohl, die Karotten, die Erdbeeren, der Lauch. Der ganze gute Boden nur für Löwenzahn. Was für ein Jammer. Zum Glück habe ich meine Blumen. Das heißt, dafür ist es noch etwas zu früh. Wo sind die Narzissen? Ah! Hier! Und meine Krokusse? Und das hier, sieh mal, Camille, bück dich, wie schön sie sind. Ich sehe sie nicht, aber sie müßten hier irgendwo sein.
»Die kleinen blauen?«
»Ja.«
»Wie heißen sie?«
»Traubenhyazinthen. Ach«, stöhnte sie.
»Was denn?«
»Tja, man müßte sie auseinandersetzen.«
»Kein Problem! Darum kümmern wir uns morgen! Sie sagen mir, wir es geht.«
»Würdest du das tun?«
»Natürlich! Und Sie werden sehen, daß ich hier eifriger bin als in der Küche!«
»Die Duftwicken auch. Die sollten wir pflanzen. Das war die Lieblingsblume meiner Mutter.«
»Was immer Sie wollen.«
Camille befühlte ihre Tasche. Gut so, sie hatte ihre Farben nicht vergessen.
Sie stellten den Rollstuhl in die Sonne, und Philibert half ihr hinein. Zu viel Aufregung.
»Sieh nur, Omi! Sieh nur, wer da ist?«
Franck stand auf der Außentreppe, ein großes Messer in der einen Hand, eine Katze in der anderen.
»Ich glaube, ich mach euch lieber Kaninchen!«
Sie stellten die Stühle nach draußen und picknickten im Mantel. Beim Nachtisch wurden die Knöpfe aufgemacht, die Augen geschlossen, der Kopf nach hinten gelegt, die Beine weit von sich gestreckt und die gute Landsonne eingeatmet.
Die Vögel sangen, Franck und Philibert stritten sich:
»Das ist eine Amsel, sage ich.«
»Nein, eine Nachtigall.«
»Eine Amsel!«
»Eine Nachtigall! Verdammt, ich bin hier zu Hause! Ich kenn doch die Vögel!«
»Nicht doch«, seufzte Philibert, »du hast doch immer nur mit irgendwelchen Mofas gehandelt, wie willst du sie da gehört haben? Wohingegen ich, der ich in der Stille gelesen habe, alle Zeit der Welt hatte, mich mit ihren Dialekten vertraut zu machen. Die Amsel rollt, während der Gesang des Rotkehlchens Wassertropfen gleicht. Und in diesem Fall, kann ich dir sagen, ist es eine Amsel. Hörst du, wie sie rollt?
Weitere Kostenlose Bücher