Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
Kindheit und Jugend während der großen Weltwirtschaftskrise gekannt hatten. Sie besaßen nun Häuser und Autos, und sie konsumierten. Die Forschungsgruppe, die ich vor vierzig Jahren gemeinsam mit Jonathan Cobb zusammenstellte, interviewte etwa hundert Familien in Boston. Fabriken und Werkstätten waren damals so organisiert, dass jeder seine feste Nische darin hatte, in der er auch bleiben sollte. Diese formale Struktur hatte tiefe Wurzeln, stammte sie doch aus der industriellen Organisation des 19. Jahrhunderts. Auch die soziale Kritik an diesem System war tief verwurzelt. Wenn die Reformer in Paris vom »seelenlosen« Produktionssystem sprachen, meinten sie die Nischenarbeit, die mechanische Arbeitsteilung.
In Boston fand unser Forschungsteam jedoch heraus, dass die manuellen Arbeiter in ihrer Arbeit starke informelle Bande knüpften, die sie aus ihren Nischen herausführten. Diese informellen Beziehungen bestanden aus drei Elementen, die gleichsam ein soziales Dreieck bildeten. Auf einer Seite zollten Arbeiter anständigen Vorgesetzten widerwilligen Respekt, die ihrerseits zuverlässigen Beschäftigten widerwilligen Respekt bezeugten. Auf einer zweiten Seite redeten Arbeiter untereinander offen über ihre Probleme und schirmten Kollegen, die in Schwierigkeiten waren, am Arbeitsplatz ab, ob es sich bei dem Problem nun um einen Kater oder eine Scheidung handelte. Auf der dritten Seite sprangen Beschäftigte ein und leisteten Überstunden oder übernahmen die Arbeit von Kollegen, wenn etwas in der Werkstatt zeitweilig vollkommen schieflief. Die drei Seiten des sozialen Dreiecks bestanden aus verdienter Autorität, wechselseitigem Respekt und Kooperation während einer Krise. In der Fabrik oder im Büro verwandelt solch ein soziales Dreieck die Arbeit zwar nicht in ein Paradies, aber es sorgt dafür, dass sie nicht ganz so seelenlos ist. Das Dreieck bildet ein Gegengewicht gegen das Nischendasein und die Isolation. Noch allgemeiner formuliert, sorgt ein soziales Dreieck dieser Art für einen höflichen Umgang am Arbeitsplatz, eine Höflichkeit zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten, die zwar einer ganz anderen Welt anzugehören scheint als die höfliche Diplomatie in einer Botschaft, aber dennoch einige strukturelle Merkmale mit ihr gemeinsam hat.
Vierzig Jahre später führe ich Interviews mit einer ganz anderen Gruppe von Beschäftigten: mit Angestellten an der Wall Street, die während der Finanzkrise 2008 ihren Job verloren. Viele meiner Befragten sind keine Opfer. Sie verfügen über technische Fertigkeiten, dank deren sie bereits wieder eine Anstellung gefunden haben oder mit Sicherheit bald wieder finden werden. Der Schock, der diese Büroangestellten, Techniker und Angehörige des mittleren Managements zeitweilig in die Arbeitslosigkeit zwang, sorgte dennoch dafür, dass sie die Qualität ihres Arbeitslebens vor dem Crash nun kritischer sehen.
In der Finanzindustrie herrscht starker Stress, und man verlangt von den Beschäftigten extrem lange Arbeitszeiten, so dass sie viel Zeit, die sie mit ihren Kindern und Ehepartnern oder mit geselligen Vergnügungen verbringen könnten, für den Job opfern müssen. Viele der Befragten sind nach dem Trauma von 2008 nicht mehr bereit zu solchen persönlichen Opfern. Im Rückblick empfinden sie einige Bitterkeit, weil sie sich darauf eingelassen haben, das Spiel der Finanzbranche nach deren Bedingungen zu spielen. Sie haben inzwischen erkannt, wie wenig Achtung sie für ihre früheren Chefs empfanden, welch oberflächlichen Charakter ihr Vertrauen zu den Arbeitskollegen hatte und vor allem wie schwach die Kooperation innerhalb der Branche vor dem Ausbruch der Krise ausgeprägt war. Die Befragten haben heute das Gefühl, dass sie kaum Bindungen zu ihren Arbeitskollegen und ihrem Arbeitsplatz entwickelt hatten. Allen von mir interviewten Wall-Street-Beschäftigten stellte ich die Frage: »Möchten Sie Ihren alten Job zurück?« Die Antwort lautete in der Regel: »Ich möchte dieselbe Art von Arbeit machen, aber anderswo.« Die Bindungen des sozialen Dreiecks haben sich als allzu schwach erwiesen.
Bislang mussten die Arbeitgeber sich kaum Sorgen um die politischen Folgen machen. Die Beschäftigten der Finanzbranche gehen nicht auf die Straße, um dort zu protestieren. Dennoch sollte die Schwäche des sozialen Dreiecks Anlass zur Sorge geben. In bürokratischen Organisationen laufen wichtige Teile der Kommunikation über informelle Kanäle. Wenn diese Kanäle
Weitere Kostenlose Bücher