Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
beruht legitime Macht auf Gesetzen, denen die Menschen gehorchen, weil sie ihnen richtig erscheinen. Max Webers Test für Legitimität ist die Frage, ob man selbst dann gehorcht, wenn man auch ohne Gehorsam davonkäme. So vernünftig Webers Test sein mag, bleibt diese soziologische Denkweise doch allzu eng. Sie stellt den Untergebenen in den Mittelpunkt, nicht den Herrn. Aber auch der Herr muss sich seine Legitimität verdienen, und er tut dies meist durch geringfügige Handlungen und Äußerungen, die wenig mit der formalen Demonstration eines Rechts oder Anspruchs auf Herrschaft zu tun haben.
Lange nachdem ich Boston verlassen hatte, stieß ich auf die Äußerung eines Architekten, die in knapper Form zusammenzufassen scheint, wie man persönlich Autorität erwerben kann. Der Schweizer Architekt Peter Zumthor sagt über sein Büro: »Am Anfang komme ich mit einer Skizze, und wir reden. Wir reden über die Idee, wir reden darüber, wie wir anfangen können.« Dann lässt er seine Zeichner eine Zeitlang ihre eigenen Wege gehen. »Jemand baut ein Modell.« Dann erscheint Zumthor wieder. »Ich gehe durchs Büro und sehe mir die Arbeit an … Ich bin gut darin, unsere Gespräche zu strukturieren … Wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, schneide ich alle akademischen, theoretischen Argumente ab.« Er zieht sich bei seiner Arbeit nicht zurück. »Ich hole andere Leute herein, sogar die Sekretärin, und frage: ›Wären Sie gerne in einem Hotelzimmer mit solch einem Bett oder lieber mit solch einem?‹« Und wenn er sich dann für einen Entwurf entscheidet, ist die Entscheidung endgültig. 2
Die Darstellung verzichtet auf Eigenlob und trifft stattdessen eine wichtige Feststellung. Ginge es um reine Machtausübung, würde der Architekt niemals seine Sekretärin nach ihrer Meinung fragen. Vielmehr wüsste er bereits, wohin er das Bett stellen soll, oder er glaubte zu wissen, was die Sekretärin wirklich wünscht. Zumthor ist in seinem Büro ganz offensichtlich keiner, der es allen recht machen will, kein bloßer Mediator. Er trägt die Verantwortung. Doch er bindet die anderen offenbar ernsthaft ein und wird von seinen Leuten nach allem, was man weiß, sehr geschätzt.
Verdiente Autorität schafft es, mit der alltäglichen Erfahrung der Ungleichheit auf besondere Weise umzugehen. Sie mildert das Demütigende an dem durch Befehl und Gehorsam gekennzeichneten Verhältnis. In Webers Augen kommt es immer dann zu einer Demütigung, wenn der Untergebene keine Wahl hat. In einer umfassenderen Sicht kommt es dann zu einer Demütigung, wenn der Herr die Anerkennung schuldig bleibt. Ein Chef, der niemanden demütigt, kann schimpfen und fluchen wie in den Bostoner Fabriken und seine Leute dann ihre Arbeit machen lassen, oder er kann still von Zeichenbrett zu Zeichenbrett gehen wie Zumthor. In beiden Fällen schließt er sich nicht ab. Wir könnten mit Norbert Elias der Ansicht sein, dass Demütigung und Erniedrigung unausweichlich Scham auslösen. Wie im dritten Kapitel angemerkt, begriff Elias diesen Vorgang als individuelle Erfahrung. Wer in Gegenwart anderer furzt, erniedrigt sich demnach selbst. Elias glaubt jedoch, dass Scham eine langfristige Wirkung hat. In den Ritualen, durch die man Autorität erlangt, verraucht der Zorn wieder. Und obwohl der Vorfall mit einer zeitweiligen Demütigung verbunden sein mag, vergeht auch die Scham wieder. Die Beherrschung der Gefühle ist ein Aspekt der zivilisierenden Kraft des Rituals.
Auch wenn es im Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen nicht zu solchen Ausbrüchen kommt, können informelle Diskussionen zu bindungskräftigen Ritualen werden. Nur müssen solche Gespräche regelmäßig stattfinden. Die Diskussionen mögen recht trivial erscheinen, etwa über die Frage, wann eine Maschine geschmiert werden oder wohin man ein Bett stellen soll. Wenn aber die Arbeit so organisiert ist, dass solch ein Austausch regelmäßig erfolgt, wissen die Beteiligten, dass man sie ernst nimmt. Zumindest war das so in einer von mir besuchten Bostoner Schuhfabrik in den Tagen und Wochen zwischen den »Stürmen«, wenn Vorarbeiter und Maschinisten während der Kaffeepause darüber diskutierten, welche industriellen Schmierstoffe, Reinigungsmittel und Schutzüberzüge für die Maschinen am besten seien. Auch hier erwarb der Meister Autorität, wenn er zuhörte und sich Notizen machte.
Vertrauen als Glaubenssprung
Die zweite Seite des sozialen Dreiecks betrifft das Vertrauen. Georg Simmel
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