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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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verschwinden, behalten die Beschäftigten ihre Ansichten über die tatsächlichen Zustände innerhalb der Organisation für sich, oder sie grenzen ihr eigenes Territorium ab. Wenn informelle soziale Bande nur schwach ausgeprägt sind, leidet außerdem die Loyalität, auf die Firmen in guten wie in schlechten Zeiten angewiesen sind. Die von mir Befragten waren in der betriebsinternen Hierarchie weit unten angesiedelt, so dass Bonuszahlungen oder hohe Gehälter keinen sonderlichen Einfluss auf ihr Verhalten hatten. Anders gesagt, die in der Arbeit geknüpften sozialen Bindungen waren für sie von größerem Wert. Viele sehen inzwischen voller Bitterkeit, wie dünn und oberflächlich diese Bindungen an einem Ort gewesen waren, an dem sie den größten Teil des Tages verbracht hatten. Auch wenn sie das nicht so ausgedrückt hätten, litten sie unter dem Fehlen einer ausgleichenden Kultur der Höflichkeit, durch die ihre sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz für sie selbst größere Bedeutung erlangt hätten.
    In diesem Kapitel gehe ich den Folgen dieser Arbeitsbedingungen für die beiden Beschäftigtengruppen damals und jetzt nach.

Das soziale Dreieck in der alten Ökonomie

    Es wäre völlig falsch, wenn man annähme, der Zusammenhalt innerhalb der Arbeiterklasse sorgte dafür, dass die Arbeiter glückliche Bürger wären. Außerhalb der Arbeit fühlten sich die Arbeiter, die ich in Boston befragte, von der liberalen Elite verachtet, die in Boston die Politik beherrschte, und sie setzten diese Kränkungen wie in einem Zerrspiegel in negative Einstellungen gegenüber den sozial unter ihnen stehenden armen Afroamerikanern um. Die Bostoner Arbeiter brachten ihre Ressentiments nur allzu vehement zum Ausdruck. Soziale Bindungen bestanden eher im engen Bereich des Arbeitsplatzes.

Verdiente Autorität

    In den 1970er Jahren gab es in amerikanischen Fabriken viele ältere Arbeiter, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatten, und viele jüngere waren gerade erst aus Vietnam zurückgekehrt. Durch die Erfahrungen beim Militär hatten sie eine Vorstellung von Autorität erworben, die sich nicht auf Befehl und Gehorsam beschränkte. Sie akzeptierten zwar, dass ein Offizier die Strategie für eine Schlacht vorgab, ja sie wollten, dass er die Strategie festlegte, dass er führte und befehligte. Er war der Vorgesetzte und sollte wissen, was zu tun war. Wenn die Befehle erteilt waren, sollte er aber den Soldaten zugleich auch die Freiheit geben, so zu kämpfen, wie sie es für richtig hielten. Und er sollte es nicht nur, sondern musste es auch. Ein Mikromanagement, das noch die kleinste Aktion jedes einzelnen Soldaten bestimmte, könnte auf dem Schlachtfeld nur zu einem Chaos führen.
    Diese militärische Erfahrung der Offiziere und einfachen Soldaten ließ sich auch auf die Arbeitswelt übertragen. Wenn Bosse sich in Bostoner Fabriken wie Kleintyrannen aufführten, neigten Arbeiter, die im aktiven Militärdienst gewesen waren, zur Auflehnung. Freundliche, höfliche Vorgesetzte bildeten da schon eine größere Herausforderung. Wer immer nur nett zu den Leuten war, schien sie nicht ganz ernst zu nehmen. Vorgesetzte, die schimpften und fluchten, die Leute dann aber ihre Arbeit machen ließen, schienen da bessere Führer zu sein. Obwohl die Kämpfe in der Fabrik für eine Menge Zündstoff sorgten, hatten die Arbeiter dennoch das Gefühl, dass diese hitzigen, zupackenden Vorgesetzten das Recht hatten, Anweisungen zu geben, weil sie sich so leidenschaftlich engagierten. Wenn sie die Leute danach ihre Arbeit tun ließen, erwiesen sie den Arbeitern einen gewissen Respekt, da sie ihnen genügend Kompetenz für diese Arbeit zutrauten. Solche Ausbrüche waren ein monatliches oder manchmal auch wöchentliches Ritual, das für beide Seiten gut endete. Es mag abwegig erscheinen, in diesem regelmäßigen groben Ritual einen Ausdruck von Höflichkeit zu erblicken, doch genau das war es, da es wechselseitige Anerkennung signalisierte. »Ja, er lässt manchmal Dampf ab«, sagte ein Maschinist über seinen Meister, »aber er ist nicht übel.«
    Autorität wird oft mit bloßer Macht gleichgesetzt. Das ist jedoch ein soziologischer Irrtum. Autorität ist Macht, die als legitim anerkannt wird. Seit Max Webers Zeiten definieren Soziologen Legitimität im Sinne von freiwilligem Gehorsam. Soldaten, die bereit sind, dem Angriffsbefehl zu folgen, obwohl sie wissen, dass sie möglicherweise sterben werden, sind ein extremes Beispiel. In der Zivilgesellschaft

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