Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
ihren Arbeitsplatz verloren und nun das Gefühl hatten, mit Gleichgültigkeit behandelt zu werden. Wer »immer unterwegs« ist und in einem Kokon globalisierten Luxus lebt, dem fällt es leichter, Verantwortung von sich zu schieben – zumindest galt das für meine beiden ehemaligen Harvard-Studenten, als ich nach einer Serie von Interviews mit den Arbeitslosen wieder mit ihnen zusammentraf.
»Sie nehmen das zu wichtig«, meinte einer von ihnen. »So ist das Geschäft nun einmal. Man muss damit rechnen, dass es nicht ewig so bleibt.« Vielleicht weil ich ein wenig weichherziger bin als diese jüngeren Leute, die zehn Mal so viel verdienen wie ich, fragte ich sie, ob andere Manager das ebenso sähen. Meine Frage schien sie zu überraschen. »Die Street ist so ein Chaos, da kann niemand Händchen halten.« Zur Ehrenrettung der beiden Investmentbanker, die einst bei mir studiert hatten, sei gesagt, dass sie versuchten, ihre kleine Investmentfirma zusammenzuhalten, statt sie zu zerlegen und zu verkaufen. Dennoch redeten sie vollkommen anders als der Besitzer der Schuhfabrik, den ich vierzig Jahre zuvor interviewt hatte. Sie waren nicht sonderlich darauf bedacht, sich Autorität zu verdienen.
Wie würden nun die einfachen Bankangestellten die in diesem Kapitel beschriebenen Veränderungen beurteilen? Das informelle soziale Dreieck dürfte in ihren Augen zu einer Arbeitswelt gehören, die der ihren vollkommen fremd ist und in Banken alten Stils oder in Fabriken üblich war. Sie wussten alles über kurzfristige Orientierungen und deren zersetzende Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Für sie waren Silos und oberflächliche Teamarbeit Alltag. Sie kannten schwache Kooperation aus eigener Erfahrung. Deshalb empfanden sie auch weniger Vertrauen, und insbesondere hatten sie das Vertrauen in Vorgesetzte verloren, die weniger technische Kompetenz besaßen als sie selbst. Der Crash war ein Lackmustest für Autorität, den viele ihrer Vorgesetzten gleichfalls nicht bestanden, und zwar dann, wenn die Mitglieder der Unternehmensführung die eigene Firma nicht verteidigten, die persönliche Verantwortung von sich wiesen, indem sie anderen Unternehmensführungen oder dem »System« die Schuld gaben, und wenn sie den nun Arbeitslosen mit Gleichgültigkeit begegneten.
So bitter diese Erfahrungen für viele auch gewesen sein mochten, empfanden diese einfachen Angestellten sich dennoch nicht als Opfer. Dafür gibt es eine amerikanische Erklärung. Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre übernahmen Arbeitslose die persönliche Verantwortung für Ereignisse, auf die sie keinerlei Einfluss hatten. Zum Teil blieb ihnen nichts anderes übrig, denn das amerikanische Sicherheitsnetz für Arbeitslose war damals noch schwach. Die amerikanische Betonung der persönlichen Verantwortung blieb indes auch bestehen, als die staatliche Arbeitslosenversicherung in ihren Grundlagen geschaffen war. So sagte mir ein arbeitsloser Arbeiter in den 1970er Jahren: »Letzten Endes bin ich selbst für mich verantwortlich.« Das ist eine Variante des amerikanischen Individualismus, und deshalb glauben viele der von uns Befragten an die Tea-Party-Bewegung, die sich für weniger staatliche Kontrolle und mehr Selbstverantwortung einsetzt.
Wenn aber Menschen auf die Tugend der Selbstverantwortung verweisen, klingt das oft so, als sagten sie einen auswendig gelernten Spruch auf, während sie an etwas ganz anderes denken. Ökonomisch mag der Arbeitslose sich durchaus überflüssig vorkommen – ein Gefühl, das sich mit Sicherheit einstellt, wenn man Bewerbungen abschickt, obwohl man weiß, dass niemand sie lesen wird. Doch auch die Beschäftigten, die sich relativ schnell von der Krise erholten, dürften den Crash wohl niemals vergessen. Die Unternehmensführungen möchten wahrscheinlich möglichst schnell zu den alten Zuständen, zum business as usual , zurückkehren. Weiter unten in der betrieblichen Hierarchie gelangen die Menschen dagegen am Ende zu dem Urteil, dass ihnen während des langen Booms etwas gefehlt hat, etwas, das Bindung und Zusammengehörigkeitsgefühl hätte schaffen können. Im Blick auf das chinesische Vorbild könnte man auch sagen, es fehlte an guanxi .
Die Ethnographie des sozialen Dreiecks zeigt sowohl eine Verbindung als auch einen Unterschied zur Frühgeschichte der civilité , also zivilisierter Umgangsformen. Die Verbindung liegt in der Tatsache, dass civilité damals wie heute ernsthafte Aufmerksamkeit
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