Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
Vom Netzwerk:
Stelle ein wirklich neues Museum errichten? Oder sollte der Wiederaufbau auch in irgendeiner Weise das Trauma festhalten, bewahren, erzählen, das dieser Bau in seiner Geschichte erlebt hatte? Viele beschädigte Bauwerke, wie etwa die von deutschen Bombern am 14. November 1940 zerstörte Kathedrale von Coventry, warfen Fragen dieser Art auf, doch in Deutschland, das erst von den Nazis zerstört und nach dem Krieg von der kommunistischen Tyrannei heimgesucht worden war, stellten diese Fragen sich in besonders beunruhigender Form. Wie viel wollten die Berliner in Erinnerung behalten, und wie viel wollten sie lieber vergessen? In der Debatte über diese Frage spielten alle drei reparaturtechnischen Fertigkeiten eine Rolle.
    Eine starke Faktion unter den Berlinern wünschte sich das Museum als perfekte Kopie des im 19. Jahrhundert geschaffenen Gebäudes, also »so gut wie neu«. In der Nähe des Neuen Museums plante man gerade im Sinne einer von der Zeit unberührten Illusion das Stadtschloss, einen Barockbau, der im Zweiten Weltkrieg beschädigt und 1950 abgerissen worden war. An dem Wunsch, neue Bauwerke alt erscheinen zu lassen, ist nichts spezifisch Deutsches. In Großbritannien hat der Prince’s Trust in den letzten zwei Jahrzehnten »historische« Dörfer vollkommen neu errichten lassen, und in Amerika versucht man mit der Restaurierung von Stätten wie Colonial Williamsburg die Illusion eines von der Zeit vergessenen Ortes zu erzeugen. In Berlin hat die willentliche Amnesie jedoch eine stark politische Dimension: die Auslöschung des Traumas.
    Amnesie kann viele Formen annehmen. So ist es möglich, eine Reparatur gänzlich abzulehnen und vollkommen neue Gebäude oder sogar ganze Stadtviertel zu errichten – wie die Chinesen es mit ihren Städten und ihrer Geschichte in Schanghai und Beijing tun, wo die alte, charaktervolle, um Höfe angeordnete Architektur abgerissen und durch neutrale Hochhäuser ersetzt wird, wie man sie heute überall auf der Erde baut. Die Pekinger Hutongs waren ein chaotisches, schmutziges und ungesundes Gewirr, und man konnte gute Gründe anführen, weshalb man sie als städtebauliches Vorbild vergessen sollte. Auch im Berlin der 1990er Jahre gab es gute Argumente für eine Auslöschung. So hatte man schon früher in Westberlin einige bemerkenswerte Bauwerke errichtet, zum Beispiel Hans Scharouns Philharmonie, die von 1956 bis 1963 gebaut wurde. Viele hielten das Neue Museum für eine Chance, ein gänzlich neues und innovatives Museum zu errichten.
    Die Museumsinsel war und ist kein gewöhnlicher Bauplatz. Als das Museum 1859 eröffnet wurde, repräsentierte es die Ambitionen der Deutschen, die antike Weltkultur in die deutsche Gegenwart zu holen. Gewiss war das Gebäude ein Monument des Kulturimperialismus, doch die dort aufbewahrten Stücke sind großartig und wurden auch gut erhalten oder restauriert. Wie im Britischen Museum in London erklärten die Behörden, diese Objekte gehörten nun zur Weltkultur. Ein neues Gebäude werde auch weiterhin deren Erhaltung gewährleisten und könne deren politische Neutralität demonstrieren.
    Auch der Bau eines neuen Gebäudes wäre im Sinne der Reparaturterminologie eine Sanierung, weil es weiterhin den alten Zielsetzungen diente. Der Zweck bliebe derselbe wie 1859: die Ausstellung der Objekte. Auch ein neuer, verbesserter, neutralisierter Bau wäre seiner Zweckbestimmung nach ein Schatzhaus.
    So stand denn der mit dem Wiederaufbau betraute Architekt, David Chipperfield, unter beträchtlichem öffentlichem Druck, das neue Gebäude nach dem Vorbild des alten oder aber in seiner Form gänzlich neu zu gestalten. Nostalgie spielt eine wichtige Rolle in der Politik einer Stadt und eines Landes, die so schwere Traumata erlebt haben, doch es war ganz unvorstellbar, dass dieser äußerst einfallsreiche Architekt einen Illusionsbau entwerfen würde. Der Kobold seiner eigenen Kreativität hätte das zu verhindern gewusst, und hätte Chipperfield es dennoch versucht, hätte er wahrscheinlich irgendwann aufgegeben oder wäre am Ende gescheitert. Berufskollegen drängten Chipperfield zu etwas gänzlich Neuem, und ebenso dachten jüngere Berliner, die das, wofür die Vergangenheit des Museums stand, hassten.
    Der widerstreitende Druck der verschiedenen Seiten veranlasste die Stadtväter und Chipperfield, nach einem Mittelweg zu suchen, aber das Gebäude, das er und sein Team am Ende schufen, entging der typischen Beschränktheit von Kompromisslösungen und wurde

Weitere Kostenlose Bücher