Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
etwas ganz anderes. Im Verlaufe der Reparatur entwickelte man eine vollkommen neue Vorstellung von dem Museum, so dass dieses Gebäude nun seine eigene Geschichte erzählt, und zwar unabhängig von den darin untergebrachten Objekten. Zu dieser Geschichte gehört auch die historische Katastrophe Deutschlands. Statt jedoch das Trauma wie in einem Schaukasten oder einer Fotoserie auszustellen, lässt der Architekt die Besucher des Museums es gewissermaßen physisch nacherleben – ein drastischer Umbau der Idee des Museums, dessen Zweck sich bei der Reparatur seiner Teile veränderte.
Bei einem Umbau, so könnte man meinen, sei es erforderlich, das gesamte Konzept analytisch und theoretisch neu zu durchdenken, und das trifft in aller Regel auch zu, aber bei handwerklichen Arbeiten bilden meist Detailfragen den Ausgangspunkt für solche Metamorphosen. In dem Jahrzehnt, das Chipperfield mit dem Projekt von 1998 an verbrachte, überlegte er, wie er alte und neue Steinfragmente in den Fußboden integrieren oder wie er die Wände zwar in demselben Grundton streichen konnte, aber so, dass der Ton sich jeweils durch die darunterliegende alte Farbe veränderte. In einigen Räumen restaurierte er buchstäblich die Kriegsschäden, die man auf diese Weise heute noch besichtigen kann. In anderen stellte er Objekte in einer für Museen ungewöhnlichen Weise aus. In einem Raum etwa stehen die Skulpturen vor einer Glaswand, so dass man von außen die Rückseite der Figuren sieht – eine Betonung der plastischen Form, in der das veränderte Wissen unserer Zeit über das alte Ägypten seinen Ausdruck findet, denn von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg dominierte ein frontales Verständnis dieser Skulpturen. In wieder anderen, gänzlich neu geschaffenen Sälen öffnete er den Raum für Aktivitäten, die von den ursprünglichen Erbauern des Museums niemals vorgesehen waren. So nutzte die Choreographin Sasha Waltz einige dieser Räume als Bühne für modernen Tanz.
Das Gebäude stellt gleichsam seinen eigenen Transformationsprozess aus. Neue Elemente kommen hinzu, neue Aktivitäten werden möglich, und dennoch bleibt seine bewegte Vergangenheit sichtbar. Man wandelt buchstäblich auf den Spuren der Vergangenheit und sieht sie an den Wänden. Der abwechslungsreiche Gang durch die höchst unterschiedlichen Räume dieses Museums verstärkt noch die physische Erfahrung eines Bauwerks, das kein kohärentes Ganzes mehr bildet.
In seinen Schriften und Interviews über das Neue Museum betont Chipperfield den engen Zusammenhang zwischen Herstellen und Reparieren. Bei der Lösung einiger Probleme wie der Reparatur der Böden kamen ihm neue Ideen zur Gestaltung der Wände, sowohl was die Farbe als auch was die zu verwendenden Materialien angeht. Das Projekt verlangte von ihm und seinem Team, dass sie mit den Widerständen arbeiteten, statt gegen sie zu kämpfen, und in vielen Teilen des Gebäudes führte das zu einem minimalistischen Ansatz, in dem die Architektur sich selbst so wenig »dramatisiert« wie nur möglich, sogar in der großen Eingangshalle, wo der Architekt einen monumentalen Treppenaufgang wiederherstellte. Der Treppenaufgang selbst ist modernster Chipperfield, während die Wände der Eingangshalle gänzlich unberührt von solch einer Dramatisierung zu sein scheinen.
Ist das eine soziale Aussage? Ich denke ja, auch wenn der Architekt als Architekt lieber von Mörteltechniken spricht. Der Wiederaufbau verkörpert dialogisches Denken. Das Ergebnis vermittelt eine ethische Botschaft über Beschädigung und Reparatur. Der Besucher, der durch das Museum wandert, vergisst niemals dessen schmerzvolle Geschichte, aber diese Erinnerung ist nicht in sich geschlossen. Die Raumerzählung schreitet voran und vermittelt ein Gefühl der Offenheit für verschiedene Möglichkeiten von »so gut wie neu« bis »ganz neu«. Ihre Politik ist die eines Wandels, der historische Brüche umfasst, ohne sich auf die bloße Tatsache der Verletzung zu fixieren.
Genau das soll auch bei der Reparatur der Kooperation erlebt werden. Kooperation ist kein hermetisches Objekt, das nicht repariert werden kann, wenn es beschädigt worden ist. Ihre Ursprünge – ob genetischer Art oder in der frühen menschlichen Entwicklung angelegt – bestehen auch weiterhin fort und lassen eine Reparatur zu. Der Umbau dieses Museums kann als Leitmetapher für das Nachdenken über die Reparatur von Kooperation dienen.
Wir haben uns von Porzellanscherben
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